Antragsteller*in

Jusos Rheinland-Pfalz

Zur Weiterleitung an

Juso-Bundekongress

Antragstext

Der Bundekongress möge beschließen:

Die Finanzierung der gemeinschaftlichen, gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Form von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen, Selbsthilfeunterstützung und Selbsthilfekontaktstellen soll auch zur Pflichtaufgabe der privaten Krankenversicherungen werden, solange sie nicht abgeschafft sind.

Daneben sollen soziale Themen, deren Bearbeitung in Selbsthilfegruppen zur Gesundheitsförderung bzw. primären oder sekundären Prävention beitragen, auch zur gesundheitsbezogenen Selbsthilfe anerkannt werden, sodass sie nicht von der Selbsthilfeförderung nach § 20h SGB V ausgeschlossen werden.

Begründung:

Selbsthilfegruppen sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten, psychischen oder sozialen Themen richten, von denen sie – entweder selbst, oder als Angehörige – betroffen sind. Ihr Ziel ist eine Veränderung der persönlichen Lebensumstände der Gruppenmitglieder und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld. In der regelmäßigen Gruppenarbeit betonen sie Authentizität, Gleichberechtigung, gemeinsames Gespräch und gegenseitige Hilfe. Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die äußere (soziale, gesellschaftliche) und die innere (persönliche, seelische) Isolation aufzuheben. Die Zahl an Selbsthilfegruppen liegt bundesweit bei ca. 100.000 Gruppen mit insgesamt bis zu dreieinhalb Mio. Mitglieder.

Diese arbeiten auf Landes- oder Bundesebene themenspezifisch zu einer bestimmten Erkrankung bzw. Thema. Hauptsächlich fungieren sie als Interessensvertretung und weisen oftmals enge Kontakte zum professionellen Hilfesystem auf. In der Regel haben sie auch über ihre eigene Mitgliedschaft hinaus umfangreiche Informations- und Beratungsangebote. Mittlerweile sind die krankheits- oder indikationsspezifischen Vereinigungen auf ungefähr 350 Verbände mit zum Teil über 100.000 Mitgliedern je Organisation angewachsen.

Die Selbsthilfeunterstützung ist Hauptaufgabe von Selbsthilfekontaktstellen. Als Einrichtungen mit hauptamtlichem Personal und Gruppenräumen verbessern sie die Infrastruktur, damit Selbsthilfegruppen entstehen und sich weiterentwickeln. Sie fördern und begleiten Selbsthilfegruppen, pflegen Datenbanken zu örtlichen Gruppen, vermitteln Betroffene an Gruppen oder unterstützen sie bei Gruppenneugründungen. Daneben arbeiten sie in kommunalen Netzwerken mit und schaffen mit Öffentlichkeitsarbeit und Projekten ein selbsthilfeförderndes Klima in der Gesellschaft. Das Angebot ist kostenfrei. Bundesweit gibt es 257 Selbsthilfekontaktstellen.

Bei der Selbsthilfearbeit entstehen Kosten. Es fallen Raummieten für Gruppentreffen, Kosten für Büromaterial, Porto, Telefon- und Internetgebühren sowie Ausgaben für technische Geräte und Öffentlichkeitsarbeit an. Daneben entstehen für Teilnahmen an Vortragsveranstaltungen, Gesundheits- und Selbsthilfetagen oder überregionaler Gremienarbeit Beiträge und Fahrtkosten. Bei Organisationen und Kontaktstellen kommen Büromieten und hauptamtliches Personal hinzu.

Bisher zahlen hauptsächlich gesetzliche Krankenkassen in die Selbsthilfe ein, während private Krankenkassen in Deutschland nicht dazu verpflichtet sind. Es fehlt hier an einer gesetzlichen Grundlage um die Finanzierung fair aufzuteilen. Die finanzielle Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassen an der Selbsthilfe ist gesetzlich festgelegt. Das Sozialgesetzbuch V (SGB V) schreibt vor, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Selbsthilfe fördern und finanziell unterstützen sollen. Es gibt jedoch keine vergleichbare rechtliche Verpflichtung für private Krankenkassen.

Zudem basiert das deutsche Gesundheitssystem auf dem Solidaritätsprinzip, bei dem die Beiträge der Versicherten nach ihrem Einkommen berechnet werden. Gesetzliche Krankenkassen sind Teil dieses Systems und müssen bestimmte Solidaritätsaufgaben erfüllen, zu denen auch die Förderung der Selbsthilfe gehört. Private Krankenkassen hingegen agieren auf der Grundlage von individuellen Versicherungsverträgen und haben eine andere Finanzierungsstruktur. Trotzdem profitieren privat versicherte Menschen sowie deren Krankenkassen von der Selbsthilfe und ihren Strukturen ohne Finanziell daran beteiligt zu werden. Dies wiederspricht dem Solidaritätsprinzip im Grundsatz und muss geändert werden!

Das eine Beteiligung der privaten Krankenversicherung an der Finanzierung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe legislativ geregelt werden kann, zeigt die Selbsthilfe für Pflegebedürftigen und deren Angehörigen, die in § 45d SGB XI geregelt ist. Hier wurde eine Mitfinanzierung durch die private Pflegeversicherung festgeschrieben.

Auch wenn gesetzliche Krankenkassen aufgrund der höheren Anzahl von Versicherten (87% der Bevölkerung, ca.73 Mio Menschen stand 2021) und der solidarischen Beitragsgestaltung in der Regel größere finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, als private Krankenkassen (13% der Bevölkerung; ca. 10,9 Mio Personen stand 2021), sollte es keine übermäßige Belastung für private Krankenkassen sein entsprechend der Zahl ihrer Mitglieder einen entsprechenden Beitrag zu leisten.

Einige private Krankenversicherungen investieren bereits freiwillig in die Selbsthilfe und unterstützen die Arbeit von Selbsthilfeorganisationen. Allerdings besteht aktuell keine rechtliche Verpflichtung für private Krankenkassen, in die Selbsthilfe einzuzahlen. Um die Chancengleichheit und Unterstützung für Selbsthilfegruppen zu stärken, fordern wir daher eine gesetzliche Regelung/ Gesetzesanpassung, die auch private Krankenkassen zur finanziellen Beteiligung an der Selbsthilfe verpflichtet.

Die Förderung von Selbsthilfegruppen und -organisationen erfolgt, wenn der Fokus auf der gemeinsamen Bewältigung von Krankheiten, Krankheitsfolgen und/oder psychischen Problemen liegt, von denen die Teilnehmer entweder selbst oder als Angehörige betroffen sind. Es gibt jedoch eine Notwendigkeit, eine umfassendere Definition für die gemeinschaftliche, gesundheitsbezogene Selbsthilfe festzulegen, um eine klare Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogener und sozialer Selbsthilfe zu ermöglichen.

Die derzeitige Ausrichtung an der ICD-11 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) hat zur Folge, dass Gruppen und Organisationen, die an sozialen Themen arbeiten, von der Förderung gemäß § 20h SGB V ausgeschlossen sind.

Es gibt jedoch Themen, die trotz fehlender ICD-Codierung in einem nachweisbaren Zusammenhang mit Gesundheitsgefährdungen stehen und deren Bearbeitung im Rahmen von Gruppenarbeit zur Gesundheitsförderung oder primären und sekundären Prävention beitragen kann. Dazu gehören beispielsweise Allein- oder Getrennterziehende, LGBTIQ-Personen, Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch, Eltern von Sternenkindern oder Angehörige von Suizidopfern.

Um sicherzustellen, dass Gruppen, die sich mit sozialen Themen beschäftigen, förderfähig sind, sollten sie in den Anwendungsbereich des § 20h SGB V fallen. Dadurch könnten sie zukünftig Zuschüsse für ihre Gruppenarbeit beantragen, die für die betroffene Gesellschaft eine wertvolle Stütze darstellt.