Antragsteller*in

N.N.

Zur Weiterleitung an

SPD RLP Landesparteitag, Juso-Bundeskongress

Antragstext

Am 07.06.2019
hat der Bundestag ein umfassendes Gesetzespaket zum Themenbereich Flucht und
Migration verabschiedet. Darin sind zahlreiche Gesetzesinitiativen gebündelt.

Leider wird mit
diesem Gesetzespaket das flüchtlings- und migrationspolitische Gesamtbild der
Großen Koalition weiter verstärkt: Anstelle rationaler und durchdachter Politik
werden symbolisch Gesetze weiter verschärft, um bis in die Mitte der
Gesellschaft reichende rechtspopulistische Einstellungen zu befriedigen. Dabei
werden elementare Menschenrechte und das Sozialstaatsprinzip immer weiter
ausgehöhlt.

Mit dem neu
verabschiedeten Gesetzespaket werden insbesondere:

  • Die Möglichkeiten von Wohnungsdurchsuchungen
    zum Zwecke der Abschiebung wesentlich erweitert.  Auch ohne richterlichen Beschluss sollen in
    Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen Wohnungen nach ausreisepflichtigen
    Personen durchsucht werden können.

Es ist aus
unserer Sicht nicht hinnehmbar, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung ohne
Richtervorbehalt noch weiter eingeschränkt wird. Die Sicherheit in der eigenen
Wohnung stellt ein sehr hohes Rechtsgut dar, das insbesondere bei Personen mit
Fluchtgeschichte nicht zu unterschätzen ist. Die ständige Gefahr des
Eindringens in diesen geschützten Raum auch ohne richterlichen Beschluss führt
zu starker Verunsicherung, die insbesondere bei Menschen mit Fluchthistorie
traumatisch sein kann.

  • Das Trennungsgebot zwischen
    Abschiebehafteinrichtungen und Justizvollzugsanstalten deutlich aufgeweicht. In
    Zukunft sollen Menschen im Abschiebegewahrsam in allgemeinen Haftanstalten
    untergebracht werden können, sofern der Abschiebehaftbereich vom allgemeinen
    Haftbereich getrennt ist.

Wir lehnen
diese Regelung ab. Flucht ist keine Straftat. Kein Mensch ist illegal. Es ist
nicht akzeptabel, dass Geflüchtete wie Straftäter behandelt werden und die
Justizvollzugsanstalten, die momentan bereits zum Teil überfordert und
überfüllt sind mit dieser organisatorischen Mammutaufgabe weiter belastet
werden. Zudem stellt die Regelung einen klaren Verstoß gegen
EU-Aufnahmerichtlinien dar.

  • Die Höchstaufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen
    grundsätzlich auf 18 Monate erhöht. Die Abschiebung soll in Zukunft bei
    abgelehnten Asylanträgen unmittelbar aus der Einrichtung erfolgen.

Wir lehnen eine
weitere Erhöhung der Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen ab.
Erstaufnahmeeinrichtungen drohen bereits heute zu Verwahranstalten für
Ausreisepflichtige zu werden. Dabei führt eine sehr lange Aufenthaltsdauer
einer großen Zahl perspektivloser Menschen in diesen zu
Solidarisierungseffekten unter den Geflüchteten, wodurch die Stimmung in den
Aufnahmeeinrichtungen gefährlich werden kann. Abschiebungen aus
Aufnahmeeinrichtungen sorgen für eine hohe psychische Belastung aller dort
lebenden Geflüchteten und haben eine verhältnismäßig geringe Erfolgsquote.

  • Die Leistungskürzungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
    werden weiter verschärft. Selbst bei Kindern wird in Zukunft bei Vorliegen der
    Voraussetzungen das sozio-kulturelle Existenzminimum (notwendiger persönlicher
    Bedarf) komplett gekürzt.

Die
Bundesregierung stellt sich hier klar gegen ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts (1 BVL 10/10, 1 BvL 2/11) aus dem Jahr 2012, wonach
die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist. Das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus
Artikel 1 Abs. 1, der diesen Anspruch als Menschenrecht definiert. Dazu zählt
nicht nur die physische Existenz des Menschen, sondern auch die Möglichkeit zur
Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Wir lehnen -wie bei
Hartz-4-Sanktionen- jede Form der Leistungseinschränkung unterhalb des
gesetzlich definierten Existenzminimums ab.

  • Menschen, die einen Aufenthalts- oder
    Schutzstatus in einem anderen Staat der Europäischen Union erhalten haben, der
    fortbesteht, werden in Zukunft keinerlei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
    erhalten, sondern lediglich einmal alle zwei Jahre Geld zur Überbrückung von
    maximal zwei Wochen bis zur Rückkehr in den Staat, in dem der Aufenthalts- oder
    Schutzstatus besteht.

Wir lehnen
diese Regelung ab. Auch sie verstößt gegen elementare Menschenrechte.
Eingereiste Personen ohne physisches und sozio-kulturelles Existenzminimum
auszuhungern verstößt gegen Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz und widerspricht dem
o.g. Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Dies sind nur
einige ausgewählte Beispiele, wie die Bundesregierung das Asylrecht weiter
verschärfen will. Trotz des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts aus
dem Jahr 2012, das klarstellt, dass die Behandlung von Geflüchteten in der
Bundesrepublik nicht bewusst schlecht sein darf, um diese zur Ausreise zu
drängen, geht die Bundesregierung diesen Weg immer weiter. Darüber hinaus
handelt es sich in vielen Fällen um Symbolpolitik, die einer genauen
Betrachtung mit Hinblick auf die Realität nicht standhält.

Es bedarf
keiner weiteren Gesetzesverschärfungen. Es bedarf keiner weiteren Gesetze, mit
dem Ziel, Geflüchtete aus Deutschland „rauszuekeln“. Es bedarf viel mehr einer
grundlegenden Neugestaltung des europäischen Asylverfahrenssystems.

Die
Dublin-Verordnungen führen in der Praxis des Europäischen Asylrechts zu
unsagbarem Leid. Staaten ohne EU-Außengrenzen wie die Bundesrepublik
Deutschland entziehen sich ihrer Verantwortung und belassen die gesamte
Verantwortung und finanzielle Belastung der Aufnahme, Versorgung und
Registrierung von Geflüchteten vor allem den Mittelmeeranrainerstaaten.

Die
Überforderung der Staaten an den Europäischen Außengrenzen durch diese Politik
haben den aufkommenden Rechtspopulismus in vielen Staaten Europas
weiterbefördert. Dies hat dazu geführt, dass Asylbegehrende nach ihrer
lebensbedrohlichen und traumatischen Flucht oftmals am Europäischen Festland
angekommen die nächste Hölle durchleben müssen. Ihnen werden Fingerabdrücke
abgenommen, anschließend werden die Geflüchteten ignoriert was ihre Versorgung
angeht und gesellschaftlich kriminalisiert und ausgegrenzt. Ein
menschenwürdiges Leben ist insbesondere in Italien für Geflüchtete vielfach
unerreichbar. Ihre Asylanträge werden nicht bearbeitet, sie erhalten keine
Sozialleistungen oder Unterkünfte, leben teilweise auf der Straße oder werden
in Schwarzarbeit und Kriminalität getrieben, um ihren Lebensunterhalt irgendwie
finanzieren zu können.

Versuchen diese
Geflüchteten anschließend, ihren Fluchtweg in andere europäische Staaten
fortzusetzen, mit dem Ziel ein menschenwürdiges Dasein führen zu können, werden
ihre Asylanträge in diesen als unzulässig zurückgewiesen, da im Regelfall der
Staat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist, in dem der
Asylbegehrende erstmalig europäisches Festland betreten hat. Dabei bleibt die
Abschreckungspolitik insbesondere der italienischen Behörden sowie die
personelle und finanzielle Überforderung der griechischen Behörden gänzlich
unberücksichtigt.

Auch die
Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich rege am menschenunwürdigen Dublin-System.
Mit hohem personellen sowie finanziellen Aufwand werden Menschen nachts aus
ihren Betten gerissen, von Fluchtgemeinschaften getrennt, zum Flughafen
gebracht und in das zuständige Land nach der Dublin-III-VO „rücküberstellt“.
Diese Abschiebungen sind nicht nur aus menschlicher Sicht aus einer Vielzahl
von Gründen absolut zu verurteilen – ihr finanzieller und organisatorischer
Aufwand ist enorm, ihre „Erfolgsquote“ relativ gering und sie sind selbst dann
weitestgehend wirkungslos, wenn sie „erfolgreich“ sind und die Personen die
Bundesrepublik Deutschland tatsächlich verlassen. Denn eine nicht unerhebliche
Zahl von Geflüchteten sieht keine andere Möglichkeit oder Perspektive, als nach
dieser „Rücküberstellung“ erneut den Weg in die Bundesrepublik Deutschland
anzutreten. Dieser erneute Weg ist im Regelfall im Schengenraum unproblematisch
möglich. Rückführungen innerhalb dieses Raumes sind somit momentan reine
Symbolpolitik, um künstlich eine hohe Zahl an Abschiebungen zu generieren.
Dafür wird in Kauf genommen, dass Geflüchtete retraumatisiert und
Fluchtgemeinschaften auseinandergerissen werden. Darüber hinaus müssen
unzählige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verwaltungsbehörden und
Bundespolizei nachts arbeiten, um psychisch extrem belastende Tätigkeiten
auszuführen. Dafür wird viel Geld ausgegeben, das an anderer Stelle fehlt, um
Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Um eine
tatsächliche konsequente Verfahrensweise nach den Dublin-Verordnungen zu
gewährleisten, könnten nur flächendeckende Grenzkontrollen oder
Zufallsaufgriffe bei Polizeikontrollen Abhilfe schaffen. Dies würde jedoch
sämtliche Werte, für die die Bundesrepublik Deutschland einmal gestanden hat,
unterminieren und darüber hinaus das wirtschaftliche Fundament unseres
Wohlstands einreißen.

Für uns Jusos
ist klar: Anlasslose Grenzkontrollen
sind abzulehnen.
Sie sind in ihrer aktuellen Form reine Symbolpolitik, um
„besorgte Bürger“ ruhigzustellen, in einer verstärkten Form würden sie die
Bundesrepublik Deutschland in ihrer aktuellen Form zerstören.

Auch
Zufallsaufgriffe funktionieren im Regelfall nur über Racial Profiling, das wir gemäß unserer umfassenden Beschlusslage
als menschenrechtsverletzend und daher
verfassungswidrig ablehnen.

Für uns Jusos
ist daher klar: Die Dublin-Verordnungen
zerstören Menschenleben, traumatisieren Geflüchtete, überlasten die
Mittelmeeranrainerstaaten und sind darüber hinaus in höchstem Maße
dysfunktional.

  • Wir fordern
    daher das Ende der Dublin-Abkommen.

Die Aufnahme
und Versorgung von Geflüchteten ist eine Gemeinschaftsaufgabe der europäischen
Union. Sie ist eine europäische Herausforderung, die gesamteuropäisch gelöst
werden muss.

  • Wir fordern
    daher die Einrichtung einer Europäischen Agentur für Geflüchtete und
    Integration
    , die unmittelbar aus EU-Geldern finanziert
    werden und der Kontrolle des EU-Parlaments unterliegen soll. Sie organisiert
    mit EU-weiten Zweigstellen die Aufnahme, Registrierung und Versorgung von
    Geflüchteten.
  • Von ihr werden EU-weit alle Asylanträge
    bearbeitet und geprüft. Bei Zuerkennung
    eines Schutzstatus gilt dieser automatisch europaweit, verbunden mit der
    dazugehörigen Freizügigkeit.
  • Innerhalb der
    ersten drei Jahre nach Abschluss des Asylverfahrens werden die Sozial- und
    Integrationsleistungen der Geflüchteten komplett von der Europäischen Agentur
    für Flüchtlinge und Integration geleistet. Diese erstattet die Leistungen an
    das jeweilige Aufnahmeland. Sollten besondere Integrationsanstrengungen (z.B.
    wegen Traumatisierungen, sehr niedrigem Bildungsstand, körperlichen und
    geistigen Einschränkungen) notwendig sein, um die Geflüchteten gesellschaftlich
    zu integrieren, wird die Kostenträgerschaft der EU auf bis zu zehn Jahre
    verlängert.

Auf diese Art
und Weise werden Geflüchtete nicht mehr als finanzielle Belastung der einzelnen
Staaten, sondern als Bereicherung wahrgenommen. Idealerweise wird aufgrund der
Kostenträgerschaft der EU für Integrationsleistungen ein Wettbewerb um die
bestmögliche Integration der Geflüchteten entstehen, um diese nach Ablauf der
Kostenträgerschaft in den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt integrieren zu
können.

Diese
Forderungen gelten allein für die Neustrukturierung des Asylverfahrens. Unsere
generellen Forderungen in der Flüchtlingspolitik bleiben daneben
selbstverständlich bestehen.