Antragsteller*in
N.N.
Zur Weiterleitung an
SPD RLP Landesparteitag, Juso-Bundeskongress
Antragstext
Forderungen:
- die Etablierung einer staatlichen
Meldestelle, bei der Frauen ihre Probleme rund um die Geburt anonym melden
können - eine stärkere Einhaltung der
Informations-und Einwilligungspflicht bei bevorstehenden Behandlungsschritten
unter Aufklärung über Risiken und Alternativen bei gleichzeitiger
Berücksichtigung und Abwägung der angemessenen Ausführlichkeit aufgrund der
medizinischen und psychologischen Situationsfaktoren - Regelmäßige
Fortbildungen, ermöglicht durch Arbeitgeber*innen, für das gesamte Team der
Geburtshilfe in traumasensibler und traumatisierungsvermeidender
Geburtsbegleitung - Supervision
für Hebammenteams in Kliniken (Angebot der psychologischen Seelsorge) - Mehr
Raum für Techniken der Selbstreflektion, auch über Macht, sowie eine Verankerung
von Stressbewältigung in die Ausbildung der Hebammen (und weitere Berufsgruppen
in der Geburtshilfe). - eine Reform der Abrechnungsart der
Krankenkassen durch Fallpauschalen von Geburten und der Nachversorgung von
Mutter und Kind (aktuell: DRG), welche die Krankenkassen in die Verantwortung
nimmt - die angemessene Vergütung von
Geburtshelfer*innen - den
Erhalt und Ausbau der flächendeckenden Hebammenversorgung, um während des
Geburtsvorgangs eine kontinuierliche 1:1 Betreuung durch eine Hebamme zu
gewährleisten - die
Klärung der Haftpflichtproblematik und eine Deckelung bezüglich der immer
weiter steigenden Versicherungsprämien - die Verhinderung des weiteren
Stellenabbaus im Kreißsaal durch eine strikte Personaluntergrenze
Begründung:
Gewalt gegen Frauen während
der Geburt passiert tagtäglich und wird gleichzeitig tabuisiert. Viele Frauen
erfahren während der Geburt in Geburtshilfeeinrichtungen eine missbräuchliche
oder vernachlässigende Behandlung.
Für
werdende Mütter gilt, wie für alle Menschen, das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit. Dieses Recht beinhaltet, dass Eingriffe in die körperliche
Integrität nur mit dem Einverständnis der betroffenen Person möglich sind. Das
heißt, dass die Frau rechtlich die letztgültige Entscheiderin über den
Geburtsprozess ist. Zwar tragen Ärzt*innen, Hebammen und anderes Personal
Information- und Aufklärungs- und Beratungspflichten und sollen unterstützend
wirken, aber die abschließende Entscheidung über das Vorgehen und über ihren
Körper bleibt der gebärenden Frau überlassen. Zudem müssen der Frau – soweit
medizinisch vertretbar – tatsächlich Wahlmöglichkeiten gegeben sein, zwischen
denen die Gebärende sich entscheiden kann.
Berichte
über geringschätzige oder missbräuchliche Behandlung während der Geburt in
Geburtshilfeeinrichtungen beinhalten unter anderem körperliche Misshandlungen
(Festschnallen der Beine, Festhalten, keine freie Wahl der Geburtsposition),
tiefe Demütigung und verbale Beleidigung (Druck ausüben, Nötigung, Zwang,
Anschreien, Beschimpfen), aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung
vorgenommene medizinische Eingriffe (Medikamentengabe, Katheter legen,
Dammschnitt, Kaiserschnitt), Nichteinhaltung der Einholung einer
vollumfänglichen Einverständniserklärung, Verweigerung der Schmerzbehandlung,
grobe Verletzung der Intimsphäre bis hin zur Verweigerung der Aufnahme in
medizinische Einrichtungen.
Die
Gewalt kann stark von den Arbeitsstrukturen in den Geburtshilfeeinrichtungen
abhängen. Mittlerweile muss eine Hebamme drei bis vier Geburten gleichzeitig
betreuen. Die hohe Arbeitsbelastung von Hebammen in Kliniken führt zu
Zeitmangel und fehlender individueller Betreuung. Hinzu kommt, dass deutsche
Krankenhäuser über das Diagnosis-Related-Groups-System (DRG) abrechnen. Hierfür
wird die Patientin in eine diagnosebezogene Fallgruppe eingruppiert und die
durchgeführten Leistungen aufgerechnet. Aus den Diagnosen und Prozeduren sowie
dem Alter, Geschlecht, Gewichtsangabe bei Neugeborenen, Zahl der Stunden
maschineller Beatmung, der Verweildauer und der Entlassungsart (z. B.
verlegt, verstorben, normale Entlassung usw.) erfolgt die Eingruppierung. Die
Klinik erhält dann pro Patientin eine begrenzte Fallpauschale, die den
finanziellen und zeitlichen Aufwand aber nicht abdeckt. Dementsprechend ist
eine interventionsfreie Geburt ein Verlustgeschäft. Auch das schafft Stress im
Betrieb – und mehr Stress führt zu mehr Maßnahmen. Expert*innen sprechen
dann von der sogenannten Interventionskaskade, also dem Effekt, dass ein
Eingriff in die Geburt sehr oft einen weiteren nach sich zieht. Langes Liegen
am Wehenschreiber intensiviert die Schmerzen, Schmerzmittel wiederum können die
Wehen hemmen, dagegen werden Wehenmittel verabreicht, die wiederum den
Geburtsverlauf verkomplizieren und dann nicht selten in operative Eingriffe
durch Saugglocke oder eben Kaiserschnitt münden können. So entsteht eine
Spirale der medizinischen Eingriffe, die bei mehr verfügbarer Zeit pro
Patientin eventuell nicht notwendig gewesen wäre.
Manchmal
ist es jedoch zwingend nötig, bestimmte unangenehme oder schmerzhafte
Interventionen vorzunehmen, um die körperliche Unversehrtheit von Mutter und
Kind zu erhalten. Wird die gebärende Frau dabei nicht übergangen, sondern ruhig
und verständlich aufgeklärt, kann dies aus der gleichen Situation eine gänzlich
andere Erfahrung machen. Diese Praktiken sollten vollständig mit der Mutter
abgesprochen werden, um sicher zu gehen, dass sie umfassend informiert ist und
auf dieser Wissensbasis zustimmen kann. Damit lässt sich verhindern, dass posttraumatische
Folgen nach der Geburt mit Gewalterfahrung (Albträume, unerklärliche Wutanfälle
und schwere Schlafstörung, die zu Depressionen führen können) aufkommen und die
Beziehung zwischen Mutter und Kind nachhaltig belasten.
Gewalt bei Geburten ist klar
ein strukturelles Problem, weil Geburten in Deutschland im Rahmen
wirtschaftlicher Planbarkeit stattfinden müssen. Durch fehlende Raumkapazitäten
oder Personalmangel müssen Geburtshilfekliniken Frauen selbst unter Wehen
und mit Voranmeldung abweisen. Diesen extremen Fall gilt es zu verhindern, aber
auch alle während der Geburt physisch oder psychisch verletzenden Maßnahmen
müssen auf das absolut medizinisch notwenige Maß reduziert werden.
Geburtshilfeeinrichtungen dürfen Frauen, wenn auch im Zweifelsfall ungewollt,
nicht das Gefühl der Objektifizierung geben. Der Wille der gebärenden Frau muss
unbedingt beachtet werden.
Dies ist nur möglich, wenn
eine Veränderung im Gesundheitswesen vorangebracht wird. Die aktuelle
Berechnung zur Finanzierung einer Geburt über ein Fallpauschalensystem führt
zur Ökonomisierung eines Ereignisses, das sich nicht beeinflussen lässt und
wenig absehbar ist. Dazu bedarf es einer Reform, deren Ausgestaltung in der
Verantwortung der Gesetzgeber*innen liegt.
Das neue System muss die individuelle Berechnung der erbrachten
Leistungen ermöglichen und somit auch die Krankenkassen mit ihren enormen
finanziellen Überschüssen in die Pflicht nehmen. Zusätzlich verhindert eine
adäquate Versorgung von Hebammen und damit der garantierte Zugang zu
individueller Geburtshilfe, dass Engpässe in der Klinikroutine entstehen, die
mit unplanbaren Geburten kollidieren. Dazu zählt eine angemessene Bezahlung
sowie die Stärkung des Berufes durch die Klärung der Haftpflichtproblematik.
Mit einer angemessenen Betreuung durch Hebammen kann sichergestellt werden,
dass jede Behandlung vor, während und nach der Geburt an die Bedürfnisse der
Frau angepasst wird und derartige Fehler im Umgang mit Gebärenden verhindert
werden können.