Antragsteller*innen

N.N.

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SPD-Landesparteitag

Antragstext

Wir wenden uns gegen den Beschluss der Justizministerkonferenz vom 6. und 7. Juni 2018 mit dem Titel „TOP II.8 – Ergänzung der Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur Online-Durchsuchung um ein Betretungsrecht“, der ein neues gesetzliches Betretungsrecht für Wohnungen vorsieht, um den Einsatz von Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Überwachung zu vereinfachen. Diesbezüglich distanzieren wir uns vom Vorpreschen des rheinland-pfälzischen Justizministeriums.

Darüber hinaus fordern wir, die Verwendung der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung auf polizeiliche Gefahrenabwehr zu beschränken und strengsten Anforderungen zu unterwerfen. Quellen-TKÜ und Online-Überwachung sollen nicht mehr zur Strafverfolgung eingesetzt werden können. Quellen-TKÜ und Online-Überwachung sollen nicht mehr unter Ausnutzung von technischen Sicherheitslücken stattfinden.

Begründung:

Mit dem aus Bayern und Rheinland-Pfalz vorgebrachten Antrag „TOP II.8 – Ergänzung der Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur Online-Durchsuchung um ein Betretungsrecht“ zur 89. Justizminister-konferenz, die am 6. und 7. Juni 2018 in Eisenach stattfand, soll für Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit geschaffen werden, Techniken zur Quellen-TKÜ und zur Online-Durchsuchung, sog. Staatstrojaner, unmittelbar in Wohnungen auf ausgewählten Geräten zu installieren. Von dieser Forderung umfasst ist ein gesetzliches Betretungsrecht, um Wohnräume heimlich betreten zu können. Dies wäre nötig, um die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden mit den Staatstrojanern zu erleichtern: Bislang stünden einer technischen Aufbringung der entsprechenden Überwachungs-software auf den informationstechnischen Systemen der Betroffenen erhebliche rechtliche und tatsächliche Probleme im Wege. Durch das zusätzliche Recht der Behörden, die Wohnungen der Betroffenen zu betreten, könnten diese Probleme umgangen werden. Derzeit finden Staatstrojaner kaum Anwendung, insbesondere, weil der Staat kaum über brauchbare Software verfügt.

Wir Jusos stehen für eine gerechte, solidarische und freie Gesellschaft. Wir erkennen an, dass Freiheit durch wirtschaftliche aber auch innere Sicherheit bedingt wird – eine Welt, in der die einen den anderen ohne verbindliche und durchsetzbare Regeln ihren Willen aufzwingen können, ist nicht frei. Gleichzeitig schränken Maßnahmen für ein Mehr an innerer Sicherheit automatisch die Freiheit der Einzelnen ein. Es ist deshalb ein Balanceakt, ein größtmögliches Maß an Freiheit gegen das Mindestmaß an Sicherheit abzuwägen.

Vorliegend stellen wir allerdings – um im Bild zu bleiben – ein Ungleichgewicht fest. Die Wohnung steht nicht umsonst unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes: „Die Wohnung ist unverletzlich“, Art. 13 I GG. Durch den sog. großen Lauschangriff wurde dieser Grundsatz in der Vergangenheit zwar gehörig aufgeweicht. Das darf uns aber nicht seine Berechtigung und seine Wichtigkeit für den Schutz unseres Privatlebens vor dem Staat vergessen lassen. Die Wohnung ist der privateste und – angesichts der sich rasant ausbreitenden öffentlichen Überwachung – fast letzte Rückzugsort der Menschen in unserem Land. Die Mütter und Väter unserer Verfassung hatten die Schrecken unserer Vergangenheit noch vor Augen, als sie der Privatheit der Wohnung einen so hohen Stellenwert beigemessen haben. Nie wieder sollte der Staat sich ungehindert Zugang zu den privatesten Lebensbereichen seiner Bürger*innen verschaffen können, auch wenn er die betroffene Person für verdächtig hält, ein Verbrechen begangen zu haben. Wir erkennen an, dass sicherheitspolitische Herausforderungen wie der Terrorismus einer Anpassung der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungsbefugnisse bedürfen. Diese können aber nicht in der totalen Durchleuchtung münden, die für die einzelnen Betroffenen die Überwachung durch den Staatstrojaner und das staatliche Eindringen in die Wohnung bedeuten würde. So würden für die Ermittler*innen die betroffenen Personen vollends gläsern werden.

Der in vergleichbaren Zusammenhängen oft vernommene Satz „ich habe doch nichts zu verbergen“ kann in dieser Diskussion nur als Warnsignal für eine zunehmende gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Schutz der eigenen Privatsphäre verstanden werden. Wir Jusos aber sollten gerade dann unsere Stimme erheben, wenn sich solche politische Apathie auszubreiten droht.

Es kann auch kein Gegenargument sein, dass bisher schon zur Strafverfolgung die Durchsuchungen von Wohnungen und damit deren Betreten unter besonderen Voraussetzungen rechtens ist. In diesen Fällen hat die betroffene Person das Recht, während der Untersuchung anwesend zu sein. Kann die Anwesenheit der betroffenen Person nicht sichergestellt werden, sind Dritte zur Beobachtung heranzuziehen und die betroffene Person ist unverzüglich zu informieren. Es handelt sich also um offene Durchsuchungen, die nicht mit dem verdeckten Betreten der Wohnung gleichgesetzt werden können.

Weiterhin ist es zwar schon jetzt nach dem Polizei- und Ordnungsrecht etwa in Rheinland-Pfalz möglich, Wohnungen zur Anbringung von Mitteln, die der verdeckten technischen Datenerhebung in oder aus diesen Wohnungen dienen, zu betreten. Allerdings wird zum einen schon diese Ermächtigungsgrundlage zu Recht äußerst kontrovers diskutiert. Hinzu kommt zum anderen, dass es sich in diesen Fällen um Gefahrenabwehr und nicht um Strafverfolgung handelt. Rechtgrundlagen, die der Verhinderung künftiger schwerer Rechtsgutsverletzungen dienen, können aber nicht ohne weiteres auf die Strafverfolgung übertragen werden, bei der diese Rechtsgüter bereits verletzt wurden und deshalb gerade nicht die Notwendigkeit besteht, Menschen und Menschenleben zu schützen.

Grundsätzlich wollen wir den Sicherheitsbehörden zudem den Einsatz von Software zur Quellen-TKÜ und Online-Überwachung unter Ausnutzung von technischen Sicherheitslücken untersagen. Sicherheitslücken, die von Seiten staatlicher Behörden genutzt werden können, stehen ebenso allen anderen mit dem technischen Know-How und den nötigen Mitteln und somit Missbrauch offen. Es ist aus unserer Sicht Aufgabe der Behörden, die Hersteller von Software und technischen Systemen auf bislang unerkannte Sicherheitslücken aufmerksam zu machen und auf deren Schließung hinzuwirken, anstatt diese zu Überwachungszwecken auszunutzen. So wäre dem Schutz der Bürger*innen vor dem Diebstahl ihrer Daten und dem Schutz ihrer Privatsphäre gedient. Wer Sicherheitslücken verschweigt, präsentiert Kriminellen vorsätzlich ein Einfallstor.

Die großen Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Ausnutzung der Sicherheitslücken zur Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung zeigt nicht zuletzt die Verfassungsbeschwerde, die im August 2018 von verschiedenen namhaften Kläger*innen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde.