Antragsgteller*innen

N.N.

Zur Weiterleitung an

SPD-Landesparteitag und den Juso-Bundeskongress

Antragstext

Forderungen:

  1. Sofortige Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei
    • Stopp aller bereits genehmigten Rüstungsexporte an die Türkei
    • Vorerst keine Genehmigung von Rüstungsexporten an die Türkei
  2. Deutschland strebt gemeinsam mit weiteren europäischen Staaten eine Staatenbeschwerde nach Art. 33 EMRK vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Das Erdoğan-Regime soll wegen Verletzung der sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergebenden Rechte angeklagt werden.
  3. Nicht nur die Einfrierung der Gelder zur Förderung des EU-Beitritts, sondern den sofortigen Stopp aller geplanten Fördermittel an die türkische Regierung sowie die Verhinderung von möglichen geplanten Konjunkturhilfen seitens Deutschland zur Absicherung der türkischen Wirtschaft 
  4. Weiterhin keine Gespräche über die Vertiefung der EU-Zollunion mit der Türkei
  5. Die SPD zeigt sich solidarisch mit den progressiv-oppositionellen Kräften und führt Gespräche mit diesen. Diese Gespräche haben zum Ziel, die progressiv-oppositionellen Kräfte zu stärken.
  6. Die Bundesregierung setzt sich für einen Abzug der türkischen Besatzungstruppen aus Nord-Zypern und eine Lösung der Zypernfrage ein

Begründung:

Die Türkei befindet sich nach dem diesjährigen Wahlerfolg Erdoğans und seiner AKP auf einem gefährlichen und zunehmend autoritären Weg. Die Wirtschaftslage ist verheerend, die Arbeitslosigkeit hoch und die Rechtsstaatlichkeit faktisch nicht mehr gegeben. Die Türkei ist mit all ihren Nachbarstaaten zerstritten. So besetzt das Erdoğan-Regime nach wie vor Nord-Zypern und ein Ausweg aus diesem Konflikt mit Griechenland ist nicht in Sicht. Oppositionelle werden in der Türkei scheinbar systematisch verhaftet und misshandelt. Wahlen werden offenkundig manipuliert. Der völkerrechtswidrige Umgang mit Kurdinnen und Kurden sowie die zahlreichen Morde an dieser Minderheit blieben ohne jegliche internationale Konsequenzen. Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, die kritisch und transparent über die Arbeit der Regierung berichten, werden verhaftet und gefoltert, ebenso all diejenigen aus der Zivilgesellschaft, die nicht konform mit der Politik der Staatsführung sind. Medienhäuser werden geschlossen und gleichgeschaltet. Eine angemessene Antwort der internationalen Gemeinschaft auf den völkerrechtswidrigen Einmarsch in Afrin in diesem Jahr blieb aus.

Die bisherige Außenpolitik Deutschlands gegenüber der Türkei ist seit Jahren orientiert an eigenen Vorteilen. Ein ganzheitliches und durchdachtes Konzept oder gar eine Strategie ist nicht vorhanden. Angela Merkel ging es beispielsweise mit dem EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen nicht um die demokratische Entwicklung des Landes, sondern um das Absichern der eigenen Kanzlerschaft und eine scheinbar einfache Lösung eines Teils der sogenannten Flüchtlingskrise. Deutschland hat einen Despoten und Autokraten beauftragt, Flüchtlinge daran zu hindern, Sicherheit und Zuflucht in Europa zu suchen. Wir sprechen daher in diesem Zusammenhang von einem klaren Versagen der Türkeipolitik unter Angela Merkel. Jegliche Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Humanität und Demokratie wurden spätestens ab diesem Moment ad acta gelegt. Das morallose Agieren von Angela Merkel war ausschließlich in macht- und parteipolitische Interessen eingebettet. Insbesondere das Flüchtlingsabkommen 2016 führte zur Einschätzung der türkischen Regierung, dass Deutschland und die EU über alle Menschenrechtsverletzungen und Bestrebungen zum Abbau der Demokratie hinwegsehen werden. Erdoğan hat dies als Nachgiebigkeit Deutschlands interpretiert. 

Wir wollen daher eine vollständige und grundsätzliche Neuordnung sowie einen Strategiewandel in der Türkeipolitik, die sich an festen Prinzipien (bspw. Europäische Menschenrechtskonvention) orientiert. Dem aktuellen türkischen Regime müssen unmissverständlich Grenzen aufgezeigt und andererseits versucht werden, türkische Oppositionelle und die Zivilgesellschaft tatsächlich zu stärken. Gesprächsfäden mit diesen Gruppen dürfen nicht abreißen. Wir müssen die CHP (Republikanische Volkspartei) dabei unterstützen, dass sie sich zu einer pluralistisch-sozialdemokratischen Partei transformiert. Ebenso muss die HDP als wichtige Oppositionspartei mehr europäische Solidarität erfahren. Die europäische Staatengemeinschaft soll sich für eine schnelle und friedliche Lösung des Konflikts mit den Kurdinnen und Kurden einsetzen.

Diese Maßnahmen richten sich nicht gegen die türkische Bevölkerung, sondern sind explizit an Erdoğan und die türkische Regierung adressiert. Wir Jusos stehen an der Seite aller Europäerinnen und Europäer in der Türkei und unterstützen mit einem engen Kontakt und Gesprächen die türkische Opposition. Eine demokratische Türkei ist oberstes Ziel und im Interesse Deutschlands und der EU.

Wir fordern, dass deutsche Außenpolitik sich an den Werten des Grundgesetzes orientiert und auf die Achtung der Menschenrechte und demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien gerichtet ist. Staaten, welche diese Prinzipien grundlegend und systematisch verletzen, sollen als solche benannt und behandelt werden. Die Türkei wird inzwischen von Freedom House als „nicht frei“ eingestuft; die Menschenrechtsverletzungen sind jedoch auch für den Laien mit bloßem Auge zu erkennen.

Zu 1.

Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei dient nicht den Interessen der Flüchtlinge und widerspricht unseren Anforderungen an eine humane Migrationspolitik. Es ist ein unnötiges und unzweckmäßiges Zugeständnis an die türkische Regierung, welches in der EU durch den Rechtspopulismus angetrieben wird und in der Türkei eine autokratische Regierung mit Milliarden unterstützt. Migrationspolitik darf Menschen nicht wie Ware behandeln, die hin und her geschoben wird, sondern muss in erster Linie dem Schutz der Verfolgten und Bedrängten dienen.

Zu 2.

Waffen dürfen nicht an jene geliefert werden, welche sie zur Beseitigung grundlegender demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien und Verletzung der Menschenrechte verwenden. Im Falle des von der Türkei geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieges (der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bezweifelt das Vorliegen einer Selbstverteidigungslage, siehe WD 2 – 3000 – 023/18) bedeutet für uns die Lieferung von Waffen an die Türkei auch eine Verletzung des in Art. 26 GG festgelegten Verbot des Angriffskrieges. In diesem Zusammenhang qualifizieren unserer Ansicht nach Rüstungsexporte an die Türkei als Handlung, die dazu geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören und die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten.

Zu 3.

Die Europäische Menschenrechtskonvention, die auch von der Türkei ratifiziert wurde, sollte der kollektiven Kontrolle der Achtung der Menschenrechte in Europa dienen. Tatsächlich scheuen die Staaten jedoch meist davor zurück, eine der Vertragsparteien anzuklagen und damit von ihrem Recht zur Staatenbeschwerde aus Art. 33 EMRK Gebrauch zu machen. Die Regel ist daher die Individualbeschwerde, welche unserer Ansicht nach einer systematischen Verletzung der Menschenrechte, wie sie in der Türkei geschieht, nicht gerecht werden kann. Es reicht nicht, gegen Einzelfälle vorzugehen, sondern es braucht ein kollektives Vorgehen, um grundlegende Änderungen herbeizuführen. Im Sinne Egon Bahrs sollte „das Recht des Stärkeren zur Stärke des Rechts“ werden.

Zu 4., 5., 6.

Jede Maßnahme, welche die türkische Wirtschaft oder die Leistungsfähigkeit der türkischen Regierung stärkt, fördert die Unterstützung einer autokratischen Regierung durch die Bevölkerung und sollte deshalb unterlassen werden.

Zu 7.

Eine werteorientierte Außenpolitik bedeutet für uns, Regierungen, welche gegen die Menschenrechte und die Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, als solche zu benennen und öffentlich zu kritisieren. Gleichzeitig sollen demokratische Kräfte unterstützt werden. Solidaritätsbekundungen können ihre Legitimität und internationale Anerkennung fördern. Demokratische Kräfte dürfen nirgendwo auf der Welt in ihrem Kampf alleine gelassen werden. Diese Verantwortung ergibt sich auch aus unserer Geschichte. Demokratische Kräfte in Deutschland waren ohne internationale Unterstützung nicht in der Lage, die Demokratie langfristig zu etablieren.

Zu 8.

Die NATO wurde als Wertebündnis gegründet, und nur als solches hat sie für uns eine Existenzberechtigung. Staaten, welche grundlegende demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien und die Menschenrechte systematisch verletzen, können nicht zu den engsten Verbündeten der Bundesrepublik zählen. Den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, welche alle ein Gelöbnis oder einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt haben, kann nicht zugemutet werden, sich im eventuellen Bündnisfall einem Befehl ausgesetzt zu sehen, welcher sie dazu auffordert, ein Land zu verteidigen, welches die dort festgeschriebenen Werte mit Füßen tritt. Ihnen steht nach deutschem Recht eine Gewissensentscheidung zu, aber unserer Ansicht nach wäre es unzumutbar und moralisch falsch, sie überhaupt erst in diese Situation zu bringen. Sollte es nicht möglich sein, einen Ausschluss der Türkei aus der NATO oder eine Rückkehr der Türkei zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu erwirken, sollte die Bundesrepublik die NATO verlassen.

Zu 9.

Die Besetzung des Nordens Zyperns ist – ähnlich der Besetzung der Krim durch Russland – völkerrechtswidrig. Die anhaltende Präsenz türkischer Truppen ist einer der Faktoren, welche eine Lösung des Konflikts verhindern. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass die Türkei ihre Streitkräfte aus dem Norden Zyperns abzieht. Darüber hinaus soll sie sich als Vermittler anbieten und darauf hinwirken, die Zypernfrage friedlich zu lösen. Die Lösung der Zypernfrage ist für uns auch im Hinblick auf eine eventuelle zukünftige Annäherung der Türkei – sollte diese zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren – von Bedeutung. 

Das langfristige Ziel einer Neuordnung der deutschen Türkeipolitik im Sinne dieses Antrags muss die Einbindung einer demokratischen Türkei in Europa und die Aufnahme in die EU sein.