Antragsteller*in

N.N.

Zur Weiterleitung an

Landesministerium für Arbeit, Soziales, Familie, Frauen und Gesundheit RLP, Landesdrogenbeauftragter in RLP, Vorstand der SPD RLP, RLP- Landtagsfraktion der SPD, MdBs aus RLP 

Antragstetxt

Wir fordern eine sofortige Agenda zur Weiterentwicklung der Drogenpolitik in RLP. Diese muss durch Kampagnen die gesellschaftliche Akzeptanz von Einrichtungen der Überlebenshilfe in der Drogenarbeit stärken und über deren wichtige soziale Funktionen aufklären. Hinzu kommt, dass die Substitutionsbehandlung in RLP um ein Vielfaches weiter ausgebaut werden muss. ÄrztInnen, die eine solche Behandlung anbieten möchten, müssen dies ohne gesellschaftlichen Druck ausüben dürfen. Auch hierfür muss die Akzeptanz in der Bevölkerung und unter den MedizinerInnen selbst gesteigert werden.  Einrichtungen der akzeptanzorientierten Drogenhilfe müssen nicht nur ideell, sondern auch finanziell gesichert werden. Angepasst an den bestehenden Bedarf müssen diese Einrichtungen ausgebaut und regional erweitert werden. Hierzu gehören aufsuchende soziale Arbeit und niedrigschwellige Einrichtungen der Überlebenshilfe.  Wir fordern das zuständige Landesministerium und den Landesdrogenbeauftragten dazu auf intensiver als bisher mit anderen Ländern im Anschluss an RLP in Bezug auf die Kooperation in der Drogenpolitik zusammenzuarbeiten und gegebenenfalls finanziell andere Länder zu unterstützen, die durch ihren starken Ausbau von akzeptanzorientierten Einrichtungen einen Großteil des rheinland-pfälzischen Klientels mitversorgen. Ebenso ist eine Vernetzung der Einrichtungen der Drogenhilfe mit Einrichtungen der Arbeitsvermittlung und anderen sozialen Einrichtungen durch das zuständige Landesministerium in verantwortlicher Weise voranzutreiben und auszubauen.  Eine Agenda hierzu ist bis spätestens Mitte nächsten Jahres vorzulegen und umzusetzen

Begründung:

Das Thema „Drogenpolitik“ wird – sollte es einmal in der Öffentlichkeit diskutiert werden – meist von Aufschreien der Medien und der Bevölkerung begleitet. Lediglich Erfolgsmeldungen im Zusammenhang mit einem Rückgang der Drogenkriminalität oder Skandalmeldungen, die beispielsweise immer mehr Drogenexzesse von immer jüngeren Jugendlichen schildern, finden ihren Weg in die Medien.  Einer der letzten „Aufschreie“ konnte man Anfang 2007 hören. Zu diesem Zeitpunkt kam es dazu, dass das Drogenhilfezentrum Saarbrücken den Zugang zu seinem Angebot u.a. auch dem Drogenkonsumraum für Süchtige aus Frankeich und Rheinland- Pfalz aus Kostengründen verwehren musste. Das Drogenhilfezentrum ist eine von 25 akzeptanzorientierten Einrichtungen in ganz Deutschland, die einen Drogenkonsumraum in ihrem Angebot beinhalten, in dem es Schwerstabhängigen erlaubt wird unter hygienischen Bedingungen intravenös Drogen wie Heroin oder Kokain zu konsumieren. Hierbei geht es in erster Linie um medizinische Betreuung und gesundheitliche Prävention, da durch den Konsum unter hygienischen Bedingungen die Ausbreitung von AIDS und Hepatitis C eingedämmt wird und zudem eine direkte medizinische Notfallbehandlung erfolgen kann, sollte ein Drogennotfall entstehen. 

Die Empörung der rheinland- pfälzischen Landesregierung auf die sog. „Landeskinderregelung“ im saarländischen Drogenhilfezentrum war kaum zu überhören, wobei paradoxerweise die Aussage aufrecht erhalten wurde, dass Rheinland- Pfalz keine mit anderen Bundesländern vergleichbare Drogenszene habe. Zudem gäbe es trotz der rechtlichen Möglichkeit der Einrichtung von Drogenkonsumräumen keinen Bedarf hierfür. So kam es dazu, dass das zuständige Landesministerium die Kommunen anfragte, ob ein konkreter Handlungsbedarf bestünde und Einrichtungen der Suchthilfe entstehen müssten, die einen Drogenkonsumraum beinhalten. Keine Kommune meldete einen solchen Bedarf an. Seitdem ist das Thema wieder untergetaucht, obwohl viele Fragen offen geblieben waren. 

Die Bundespolitik ist in der Entwicklung schon viel weiter als viele Bundesländer. Die Grundlage derzeitiger Bundesdrogenpolitik bilden vier Säulen: Prävention, Beratung / Therapie, Repression und Überlebenshilfe. Diese Säulen stehen theoretisch gleichberechtigt nebeneinander. In der Realität wird jedoch vor allem die Überlebenshilfe in der Bevölkerung, der Kommunal- und Landespolitik und in den Medien sehr gering geschätzt. Ängste, Tatsachenverklärung und Intoleranz führen dazu, dass dieser wichtige Teil der Suchthilfe einer wachsenden Inakzeptanz gegenübersteht, MitarbeiterInnen in akzeptanzorientierten Institutionen und ihre unerlässliche Arbeit diffamiert werden. So sind auch ÄrztInnen, die eine Substitutionsbehandlung anbieten, vor allem in dörflichen Regionen oft dem Spott ihrer KollegInnen ausgesetzt, so dass ein/e MedizinerIn es sich zweimal überlegen muss, ob sie/er eine solche Behandlung anbieten möchte. Es muss eine positive Werbung in der Bevölkerung für die Überlebenshilfe geben und die Gesellschaft über die großen Vorteile dieser Art der Hilfe aufgeklärt werden. Bisher entwickelt sich ein Verständnis für akzeptanzorientierte Angebote nur bei direkter Betroffenheit in der Bevölkerung, also v.a. in Großstädten, in denen sich eine größere Drogenszene gebildet hat. In ländlichen Regionen, die von der Drogenproblematik nicht verschont bleiben, sind solche Hilfsangebote weitgehend unbekannt oder stoßen vermehrt auf Hürden im Gewand von alten Vorbehalten. Die vorhandenen Angebote der akzeptierenden Drogenarbeit müssen in unserer Gesellschaft einen Normalisierungsprozess durchmachen, um entsprechend anerkannt zu werden. 

Ein positives Beispiel für ein Projekt der Überlebenshilfe ist die Heroin- Studie, die nun schon seit einigen Jahren in mehreren deutschen Großstädten läuft. Hierbei wird als Substitutionsbehandlung Diamorphin (Heroin) anstatt der Ersatzdroge ausgegeben. Für diese Ausgabe in Frage kommen allerdings nur KlientInnen, bei denen eine vorhergehende Behandlung mit Ersatzstoffen nicht angeschlagen hatte, d.h. der Beikonsum und die Rückfälle zur Belastung wurden. Die Studie hat durchweg positive Ergebnisse zur Folge. So ist beispielsweise die Drogenkriminalität rapide gesunken, und die sozialen Verhältnisse der KlientInnen haben sich stabilisiert. Jedoch ist das Ansehen der Studie in der Bevölkerung weiterhin gering, was vor allem Hetzkampagnen der BILD- Zeitung zu verdanken ist, die zu Beginn der Studie mit „Jetzt gibt’s Heroin auf Rezept“ titelte Eine weitere wichtige Funktion in der Überlebenshilfe kommt der aufsuchenden Soziale Arbeit (street work) zu, die unbedingt gestärkt werden muss. Diese muss allerdings multiperspektivisch und an die neuen Herausforderungen angepasst sein. Diese Herausforderungen sind vor allem Problematiken, die durch Migration entstehen, und der demographische Wandel. Dies führt dazu, dass beispielsweise Familien als Ganzes betrachtet werden müssen, entsprechend die Hilfe von Familienmitglied zu Familienmitglied unterschiedlich ausfallen kann. Allerdings ist das Ziel die Familie als soziale Einheit zu stärken. Die Probleme, die z.B. ein schwerstabhängiger Vater mit sich trägt, wirken auf alle Familienmitglieder, die deswegen ebenso Unterstützung und Hilfe bei der Bewältigung der Situation benötigen. 

Kooperationen der akzeptierenden Suchthilfe mit anderen Institutionen, wie Arbeitsagentur oder ARGE, müssen verbessert bzw. aufgebaut werden. Es ist wichtig, Soziale Hilfe in der Suchtarbeit zu vernetzten und damit qualitativ zu steigern. Ebenso sind „Guidelines“ für Drogenberatungsstellen bei der Bundesdrogenbeauftragten in Arbeit, die die MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen unterstützen und die derzeitige Qualität weiter steigern sollen. 

 Ebenso muss die Qualität der Substitutionbehandlungen gesteigert werden. Hier muss ein Individualisierungsprozess in der begleitenden psychosozialen Betreuung einsetzen, der es erlaubt, eine differenzierte Substitutionsbehandlung zu ermöglichen. Jede/r Süchtige benötigt eine spezielle Behandlung, um der Individualität ihrer/seiner Sucht gerecht zu werden. Hinzukommen müssen zudem tagesstrukturierende Maßnahmen, wie Arbeitsprojekte, die die Integration der PatientInnen verbessern. Substituierende ÄrztInnen muss darüber hinaus mehr Anerkennung und v.a. Akzeptanz (auch für die Klientel) zukommen und das Angebot an Substitutionsbehandlungen in Rheinland Pfalz weiter ausgebaut werden. Eine sogenannte „Überlebenssubstitution“ könnte eine zukunftsweisende Idee für eine niedrigschwellige Weiterentwicklung der Substitution sein, in der aufsuchende Soziale Arbeit und Überlebenshilfe (Essensausgabe, Möglichkeiten der Köperhygiene) integriert werden könnten.