Antragsteller*in

N.N.

Zur Weiterleitung an

SPD Landesvorstand

Antragstext

Die Landeskonferenz möge beschließen:

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) stellt eine grundsätzliche, ernstzunehmende Herausforderung unseres Sozialstaatsverständnisses dar. Denn es fordert die Abkoppelung solidarischer Leistungen sowohl von der Erwerbsarbeit als auch von jeder Bedürftigkeitsprüfung. Es wird seit einigen Jahren wieder  vermehrt in Zivilgesellschaft und neuerdings auch in politischen Parteien in unterschiedlich konkreter Ausgestaltung diskutiert.

1. Was ist das BGE?

Unter BGE wird in der Diskussion ein steuerfinanziertes Basiseinkommen verstanden, das die materielle Existenz sowie die soziale und kulturelle Teilhabe sichern soll. Die Anspruchsberechtigung darauf könnte bspw. nach den Kriterien Staatsangehörigkeit und/oder Wohnsitz bzw. Aufenthaltsdauer festgelegt werden. Es wird in den meisten Modellen (siehe Anhang) ohne sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung von Einkommen, Vermögen und Lebensumständen ausgezahlt. Ebenfalls entfällt der materielle und institutionalisierte Zwang zur Suche nach einer regulären Lohnbeschäftigung. Es kann so viel hinzu verdient werden, wie es jedeR einzelne für erstrebenswert hält und soweit dies am Arbeitsmarkt aushandelbar ist.

Das BGE stellt in manchen Modellen einen Ersatz aller bisherigen sozialstaatlichen Absicherungen dar, Sozialversicherungen wie z.B. die Krankenversicherung müsste jedeR privat abschließen. Mit den Konzepten des BGE wird zum Teil die totale Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, z.B. durch die Abschaffung des Kündigungsschutzes, verbunden.

In linken Konzepten zum Grundeinkommen sieht dies aber z. T. auch anders aus. Verbunden mit der Forderung eines BGE ist aber immer der Abschied vom Ziel der Vollbeschäftigung – Notwendiger Realismus oder eine folgenschwere politische Resignation / Kapitulation?

2. Argumente für ein BGE

2.1 Individuelle Freiheit und Menschenwürde

Für einen Systemwechsel hin zum BGE spricht vor allem der damit verbundene Gewinn an Freiheit in der individuellen Lebensgestaltung und das Ende der heutigen Diskriminierung und Repression von Menschen, die Sozialleistungen erhalten. Das Problem der „verdeckten Armut und verschämten Armut“ wäre gelöst und die Stigmatisierung von legitimen LeistungsempfängerInnen wie Sozialhilfebedürftigen und Erwerbslosen könnte enden. Diese Argumentation findet sich hinter dem Stichwort „Abschaffung der Arbeitsgesellschaft“ und damit der Ablehnung der heute vorherrschenden Statusdefinition über Einkommen und Beruf. Den (linken) BefürworterInnen des BGE geht es um die materielle Absicherung der Menschenwürde durch effektive Beseitigung des Arbeitszwangs. Menschen wird, als “Menschen an sich“, eine materielle Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht.

Der existentielle Zwang, Arbeit auch zu schlechten Bedingungen anzunehmen, entfällt. Daher wird für die ArbeitgeberInnen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur MitarbeiterInnenwerbung nötig.

Da die Ängste vor Arbeitsplatzverlust abnehmen könnten, weil die Erwerbsfähigen sich auch gegen die Annahme eines Arbeitsplatzes entscheiden könnten und sich somit die starke Position der ArbeitgeberInnen, die heute in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit besteht, umkehren könnte, könnten sich die Handlungsspielräume der innerbetrieblichen und auch gewerkschaftlichen Mitbestimmung erheblich verbessern.

Ein weiteres Argument für das BGE besagt, dass es eine konsequente, leicht verständliche Politik für sozial Schwache wäre. Einem Leistungsmissbrauch – im Sinne einer verhinderten Leistungsgewährung durch fehlende Information sowohl der Betroffenen als auch der MitarbeiterInnen in den entsprechenden Behörden – wäre so effektiv entgegen gewirkt.

2.2 Gesamtgesellschaftliche Auswirkungen

Eine positive Auswirkung auf die demographische Entwicklung wäre möglich: Das BGE sichert Familiengründungen und Familienpausen ab und schafft einen starken finanziellen Anreiz, jedenfalls bei den Modellen, in denen das BGE von Geburt an  pro Kopf ausgezahlt werden soll, so dass eine Familie mit mehr Kindern ein höheres Gesamteinkommen hätte – unabhängig von (lohnabhängigen) Elterngeld und Erwerbseinkommen.

Das Konzept hat zudem das Ziel, die nicht (arbeits-) marktkonform organisierbare Arbeit (Ehrenämter, Kunst, Familien-, Erziehungs- und Pflegearbeit u.a.) anzuerkennen und zu ermöglichen – unter Garantie einer ausreichenden, staatlich finanzierten Absicherung. Das würde auch die demokratische Kultur fördern.

Mit dem Grundeinkommen und der damit einhergehenden Abschaffung der „Arbeitsgesellschaft, könnte eine gesellschaftliche Diskussion in Gang kommen, die generell Herrschaftsverhältnisse in der ökonomischen (Re-)Produktion kritisch hinterfragt. Der existentielle Zwang, Arbeit auch zu schlechten Bedingungen anzunehmen, entfiele. Daher könnte für die ArbeitgeberInnen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur MitarbeiterInnenwerbung nötig werden.

„Working-Poor“ trotz Arbeit könnte durch das Grundeinkommen verhindert werden, wenn es ausreichend hoch wäre. Im Vergleich zum Arbeitslosengeld gäbe es einen größeren Anreiz, zusätzlich gering bezahlte Arbeit aufzunehmen, da das BGE unabhängig davon weiter, in gleicher Höhe, gezahlt wird. Auch der Schritt in die Selbstständigkeit, die Existenzgründung abgesichert.

Es könnten sich Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung und damit der gerechteren Verteilung von Arbeit auf mehr Erwerbstätige und eine bessere „work-life-balance“ eröffnen. Durch die Aufhebung des faktisch staatlich verordneten Arbeitszwangs würde das Recht auf Selbstverwirklichung in Zukunft nicht nur Besserverdienenden eingeräumt.

Eine positive Auswirkung auf die demographische Entwicklung ist möglich: Das BGE sichert Familiengründungen und Familienpausen ab und schafft einen starken finanziellen Anreiz, jedenfalls bei den Modellen, in denen das BGE von Geburt an  pro Kopf ausgezahlt werden soll, so dass eine Familie mit mehr Kindern ein höheres Gesamteinkommen hätte – unabhängig von (lohnabhängigen) Elterngeld und Erwerbseinkommen.

3. Unsere Gegenargumente, die zu einer Ablehnung des BGE führen

3.1 Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und Lohndumping

Die Idee des BGE steht im Widerspruch und in Konkurrenz zu einigen traditionellen wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen der SPD: Vor allem entlässt das BGE die Unternehmen aus der Verantwortung, ausreichend gute Arbeitsplätze zu schaffen und ArbeitnehmerInnen verlässlich und zu festen, geregelten Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse würde sich negativ auf die Lebensbedingungen der ArbeitnehmerInnen auswirken. So ist es kein Wunder, das gerade neoliberale Vordenker wie Milton Friedman für ein solches Grundeinkommen plädierten – die Firmen könnten dann gewinnmaximierend ohne schlechtes Gewissen ArbeitnehmerInnen, rein durch betriebswirtschaftliches Kalkül gesteuert beschäftigen und entlassen. Gewerkschaftliches Engagement der MitarbeiterInnen für mehr Demokratisierung auch in der Arbeitswelt könnte zum schnellen Kündigungsgrund werden (insbesondere in den Modellen, die den Kündigungsschutz und andere ArbeitnehmerInnenrechte abschaffen wollen). ArbeitnehmerInnen würde es unmöglich gemacht, den ArbeitgeberInnen auf Augenhöhe zu begegnen wie dies heute durch die Tarifautonomie und die rechtliche Absicherung der ArbeitnehmerInnen zumindest annähernd gesichert ist.

Aufgrund des oben beschriebenen Anreizes, zusätzlich zum Grundeinkommen zu geringer Bezahlung etwas dazu zu verdienen, könnten die negative Effekte des Kombilohns auftreten. Die ArbeitgeberInnen könnten weiterhin geringere Löhne zahlen und so die Gewinnspanne des Unternehmens verbreitern. Fraglich ist, ob nicht der umgekehrte Mechanismus greift, dass geringe Löhne obsolet werden, weil dafür es sich für niemanden lohnt, zusätzlich zum BGE arbeiten zu gehen und so die Löhne zwangsweise steigen, wie von linken BefürworterInnen erhofft.

3.2 Individualisierung derArbeitsverhältnisse

Die Verantwortung für (zusätzliches) Einkommen/Lohnverhandlungen und Arbeitsbedingungen wird individualisiert. Es wäre möglich, dass gerade gut und hoch qualifizierte Beschäftigte in individualisierten Verhandlungsrunden bessere Verträge über Gehälter und Arbeitsbedingungen erzielen als mit einem gemeinschaftlichen Lohnabschluss. Auf der Strecke bleiben dann die einfachen ArbeitnehmerInnen, für die wir eintreten und die auf die Solidarität aller Beschäftigten angewiesen sind. Diese Solidarität ist aber in diesen individualistischen Verhältnissen nicht organisierbar. Die Folge ist auch, dass gewerkschaftliche und politische Bewegung nicht mehr in dem Maße organisationsfähig sind und an massiv an Bedeutung verlieren, die Durchsetzungsmacht der ArbeitnehmerInnen schwindet damit zusehends, nur die stärksten können sich durchsetzen.

3.3 Gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte

Das Ziel der Vollbeschäftigung müssen und dürfen wir nicht aufgeben, wenn wir gesellschaftlichen Wohlstand mehren und einen Fortschritt im Sinne einer qualitativen Verbesserung der Lebensverhältnisse erreichen wollen.. Durch ein BGE droht die Suche nach alternativen Wegen dorthin delegitimiert zu werden. Gerade durch den demographischen Wandel wird eine Vollbeschäftigung in Zukunft sowohl möglich als auch nötig, um den Wohlstand der Gesamtgesellschaft zu erhalten. Zentral ist hierbei die Möglichkeit der passenden Qualifikation als Voraussetzung für Vollbeschäftigung, wie sie der Bremer Entwurf zu Recht hervorhebt. Hier ist (auch sozial) staatliche Infrastruktur dringend notwendig.

Die Einführung des Grundeinkommens wäre für die neoliberalen BefürworterInnen ein wichtiger Schritt zur Abschaffung eines Solidarsystems, in dem die ArbeitgeberInnen einen Teil der Verantwortung zur Finanzierung tragen. Das BGE könnte sich als „Trojanisches Pferd“ erweisen, da es zur Streichung aller anderen sozialstaatlicher Leistungen einschließlich der Rente führen könnte (dies wird explizit in einigen Modellen genannt). In Analogie zu „Flat Tax“- Konzepten könnte das BGE zu einer Art „Flat-Sozialstaat“ führen, Risiken wären nicht mehr solidarisch abgesichert, der worst case wäre eine Unterversorgung und eine strukturelle Verarmung der Bevölkerung (materiell, aber auch sozial, kulturell etc).

Die Einführung eines BGE bedeutet nicht notwendigerweise, dass Reproduktionsarbeit stärker anerkannt wird oder die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern aufgehoben wird. Im Gegenteil könnte ein BGE als  so genannte „Herdprämie“ verstanden werden, die der Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben entgegenwirkt bzw. zur Festschreibung alter Rollenmuster instrumentalisiert wird.

Ehrenamtliche und Familienarbeit mehr anzuerkennen und materiell zu ermöglichen ist ein wichtiges Ziel. Das können wir aber auch über die Umgestaltung des herkömmlichen Systems erreichen. Wir brauchen mehr öffentliche Beschäftigung mit gerechter und ausreichender Entlohnung für nicht marktwirtschaftlich organisierbare, aber gesellschaftlich notwendige Aufgaben. Welche solcher Arbeiten notwendig sind, ist dann zu Recht eine gesellschaftlich-politische, z. B. kommunale, aber nicht unbedingt individuelle Entscheidung.

3.4 Abkehr vom Ziel der Verteilungsgerechtigkeit

Langfristig bedeutet das BGE wahrscheinlich die Abkoppelung der Armen von der Wohlstandsentwicklung und legitimiert einen Zustand, bei dem nicht alle Teile der Gesellschaft vom Produktivfortschritt profitieren. Das BGE führt nicht zu einer ausgewogeneren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine gezielte und gesteuerte Umverteilungspolitik wird aufgegeben. Diese Umverteilung erreichen wir eben nicht bloß durch ein progressives System der Einkommensbesteuerung, sondern auch durch Sozialsysteme, welche zielgenau auf Bedürftigkeiten eingehen können. Es bleibt eine Selbstverständlichkeit, dass diese Systeme dahingehend umgebaut werden müssen. Aber nur weil sie unsere Ansprüche heute nicht in dem Maße erfüllen, wie wir es für nötig halten, müssen sie doch nicht durch ein BGE abgeschafft werden. Man würde förmlich das Kind mit dem Bade ausschütten. Damit würde der Staat sein wichtigstes Instrument zur gesellschaftlichen Umverteilung ausder Hand geben. Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit, also Kernziele sozial gerechter Politik, wären zunichte gemacht.

3.5 Anstieg des Preisniveaus

Eines der wichtigsten Argumente in dieser Diskussion ist aber, dass das Preisniveau einfach angehoben würde und somit die gewünschten (positiven) Effekte komplett zunichte gemacht würden, da sich die Verteilung des BGE lediglich als Nominaleffekt widerspiegeln würde.

Das BGE würde an jeden Bürger und jede Bürgerin in gleicher Höhe verteilt werden, so dass jedeR dieselbe Grundausstattung auf den Markt mitbringen würde. Dementsprechend hat jedeR in einem Rahmen dieselben Möglichkeiten ein Produkt oder eine Dienstleistung zu erwerben. Sobald davon Gebrauch gemacht, gibt es eine hohe Nachfrage bei einem träger reagierenden Angebot: Die Folge sind Preise, die schneller als das Angebot an Gütern und Dienstleistungen wachsen – Inflation ist die Folge.

Das BGE, das ohne Unterschied an alle Menschen ausgeteilt wird, ist daher nahezu wertlos, da das Preisniveau mit der nominalen Erhöhung der Einkommen durch das BGE Schritt hält. Bedürftige Menschen haben daher keinerlei Absicherung oder finanzielle Mittel, die es ihnen ermöglichen am Markt ihre Grundbedürfnisse zu decken. Insgesamt wäre das BGE nur eine Auszahlung des Staates, mit der er sich von seinen Verpflichtungen aus dem Sozialstaatsgebot freikauft.

3.6 Abschottung gegen Einwanderung

Der Personenkreis der Anspruchsberechtigten des BGE muss definiert werden. Bedingungslos ist es im Sinne der Bestimmung des EmpfängerInnenkreises somit nicht. Vorgeschlagen ist der so genannte „Bürgerstatus“ als Voraussetzung. Bei einer Grundsicherung nur für Staatsangehörige und Streichung aller weiteren Sozialleistungen gäbe es keinerlei Absicherung für die anderen hier lebenden Menschen mehr. Wenn alle auf Dauer hier lebenden, gemeldeten Menschen das BGE bekämen, entstünde daraus ein Kostendruck zur Schließung der Grenzen und eine Ablehnung von zusätzlicher Einwanderung.

4. Fazit und weiterführenden Forderungen

Sicherlich wissen wir, dass unsere Systeme der sozialen Sicherung in der jetzigen Form nicht die Antwort auf die Argumente und Wünsche derjenigen liefern, die für ein BGE eintreten. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass wir mit den Instrumenten der differenzierten sozialen Sicherung die Entwicklung hin zu einer gerechteren Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen erreichen können. Es liegt an uns sie entsprechend zu gestalten. Diesen Anspruch aber geben wir mit dem Ruf nach einem BGE schlichtweg auf.

Materielle Teilhabe

Freiheit und die Sicherung der Menschenwürde ist ohne eine materielle Teilhabe an Gesellschaft, die gleichzeitig auch die Grundlage für die sozio-kulturelle Teilhabe darstellt, nicht möglich. Materielle Teilhabe wird zum einen durch eine mindestens existenzsichernde Entlohnung von Arbeit organisiert. Existenzsichernd heißt in diesem Zusammenhang, dass eine Vollzeitstelle soviel Einkommen (nach Steuerabzug und Sozialversicherungen) zur Verfügung stellen muss, dass ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die Forderung der Gewerkschaften nach einem gesetzlichen Mindestbruttolohn von 7,50€ in der Stunde stellt hier eine absolute Minimalforderung dar. Zudem muss auch zur Sicherstellung der Finanzierung der Sozialleistungen und vor dem Hintergrund einer gerechten Verteilung von Unternehmensgewinnen, in der Lohnentwicklung nicht nur die Inflation, sondern auch das Produktivitätswachstum berücksichtigt werden. Eine existenzsichernde Vollerwerbstätigkeit heißt aber umgekehrt auch, dass genügend Arbeitsplätze (inklusive Auswahl ähnlich wie bei Ausbildungsplätzen 112,5%) für die Menschen, die arbeiten wollen, zur Verfügung stehen, so dass für jeden unabhängig seines Qualifikationsniveaus diese Möglichkeit der materiellen Teilhabe besteht. Die Organisation von Vollbeschäftigung soll in diesem Sinne über staatlich flankierte Arbeitszeitverkürzung, staatlich unterstütze kontinuierliche Weiterbildung, eine professionelle, gebührenfreie und bedingungslose Arbeitsvermittlung und einen öffentlichen Beschäftigungssektor erfolgen. Bisher nicht am Markt bewertete Tätigkeiten wie (private) Erziehung- und Pflegearbeit können zum einen durch Bereitstellung von entsprechender Infrastruktur für den Arbeitsmarkt und damit die monetäre Bewertung und Entlohnung geöffnet werden, zum anderen durch staatliche Unterstützung (Eltergeld im geschlechtergerechten Sinne und auf höherem Niveau als die bisherige Regelung; Pflegegeld nach dem Vorbild von Elterngeld; staatlicher Bezuschussung von ehrenamtlicher Arbeit durch z.B. kostenlose Nutzung von Infrastruktur) gefördert und materiell unterstützt und somit höher bewertet werden. Materielle existenzsichernde Teilhabe muss aber auch für diejenigen gewährleistet sein, die z.B. aufgrund von Krankheit, persönlichen Lebensumständen, arbeitsmarktlichen Bedingungen keiner Vollzeiterwerbstätigkeit (nach AZV) nachgehen können. Die sozialstaatlichen Transferleistungen der Krankenversicherung müssen gesundheitliche Risiken in einem solidarischen Finanzierungssystem wie der BürgerInnenversicherung vollständig abdecken. Gleiches gilt für die Pflege- und in letzter Konsequenz auch für die Rentenversicherung. Arbeitslosenunterstützung muss sich auch weiterhin am letzten Lohn orientieren und die Bezugsdauer nicht nur für ältere ArbeitnehmerInnen ausgeweitet werden. Langfristig sollen Leistungen nach SGB II wieder im Arbeitslosengeld (mit Kopplung an den letzten Verdienst) aufgehen. Sozialhilfe und Leistungen nach SGB II (Hartz IV) sind auf ein entsprechende Niveau (mindestens Pfändungsfreibetrag als juristisch definiertes Existenzminimum) anzuheben, um kulturelle und materielle Teilhabe zu ermöglichen. Weitere Leistungen wie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die für speziell definierte Gruppen gezahlt werden, müssen ebenfalls auf dem Niveau der Sozialhilfe und zwar monetär und nicht in Sachleistungen erfolgen. Die Anhebung dieser Transferleistungen muss mindestens einen Inflationsausgleich leisten.

Umverteilung und mehr gesellschaftliche Gleichheit

Gesellschaftliche Umverteilung kann einerseits durch die Primärverteilung über steigende Arbeitslöhne erfolgen. Dazu sind oben bereits Möglichkeiten, wie ein Mindestlohn, genannt worden. Eine Korrektur der Primärverteilung, wobei hier selbstverständlich alle Einkunftsarten gemeint sind, wie Einkünfte aus Mieten und Pachten, Kapitalerträgen, selbstständiger Arbeit etc., erfolgt bisher über die

Einkommensteuer. Durch die Steuerreformen der letzten Jahre, die geplante Einführung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge sowie die vielfachen Absetzungsmöglichkeiten (die zudem je höher das Einkommen ist, desto vielfältiger für den/die einzelnen SteuerzahlerIn ausfallen) ist der Umverteilungscharakter des Steuersystems geschwächt worden. Deswegen lehnen wir auf der einen Seite die Flat-Tax auf Kapitalerträge ab und Fordern zum anderen eine Überarbeitung des jetzigen Steuersystems. Vorschläge, die zwar auf eine Vereinfachung hinsichtlich der Steuersätze und der Möglichkeiten der steuerlichen Absetzbarkeit zielen, wirken meist verteilungspolitisches kontraproduktiv. Wir setzen uns daher für eine Beibehaltung des progressiven Systems ein, dass dem Grundsatz „Starke Schultern tragen mehr als Schwache“ gerecht wird und bei besserer Ausgestaltung in der Lage ist, Umverteilung gerecht zu organisieren. Allerdings müssen hier die Reformen der vergangenen Jahre insofern rückgängig gemacht werden, als dass der Spitzensteuersatz wieder auf 51% steigt, bei gleichzeitiger Erhöhung des Progressionsspielraumes im mittleren und unteren Einkommensbereich. D.h. die Einkommensgrenzen müssen so gewählt werden, dass der Anstieg des individuellen Steuersatzes gerade in den unteren mittleren Einkommensgruppen verlangsamt wird. Die Subventionierung sind auf ihre Notwendigkeit und ihre distributive sowie soziale und ökologische Wirkung hin zu prüfen. Die Diskriminierung von Arbeitseinkommen muss durch eine ebenfalls progressive, kontrollierbare Besteuerung auch von Kapitaleinkünften abgebaut werden.

An der Forderung der Vermögensteuer wie wir sie auf der Landeskonferenz 2003 beschlossen haben halten wir fest. Die von uns an anderer Stelle formulierten Forderungen zu einer gerechteren Besteuerung von Erbschaften tragen ebenso dazu bei, materielle Umverteilung zu organisieren.

Konsumsteuern wie die Mehrwertsteuer (MwSt) als indirekte Steuern haben verteilungspolitisch lediglich einen negativen Einfluss, in dem z.B. Familien durch  den höheren Verbrauch an Gütern stärker belastet werden. Hier darf es beim niedrigeren MwSt-Satz keine Erhöhung geben Die Besteuerung zu 18% muss bezüglich der besteuernden Güter auf ihre distributive Wirkung hin geprüft werden, der alte erhöhte MwSt-Satz (16%) muss wieder Gültigkeit erlangen. Daneben ist eine Luxussteuer ähnlich wie sie in Österreich bis 1998 bestand für Konsumgüter, die als Luxus gelten, wie teure Automobile, Schmuck, Yachten etc. zu prüfen.

Befreiung in Arbeit – Leitbild gute Arbeit

Mit der quantitativen Forderung nach Vollbeschäftigung muss gleichzeitig auch eine qualitative Forderung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen verbunden werden. Zu unserem Leitbild einer „guten Arbeit“ gehören:

  • staatlich flankierte Arbeitszeitverkürzung
  • ein Mindesturlaubsanspruch in jeder Branche von mindestens 30 Tagen im Jahr
  • Beschränkung der möglichen Überstunden auf 10% der Wochenarbeitszeit
  • starke Arbeitnehmerinnenmitbestimmung (paritätische Mitbestimmung in allen Betrieben nach dem Vorbild der Montanmitbestimmung von 1951
  • Förderung der Tarifautonomie und Stärkung des Flächentarifvertrages
  • Ausweitung des Kündigungsschutzes
  • Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz
  • Abbau der (geschlechter)diskriminierenden Statuszuweisung von berufen, durch Angleichung der Entlohnung und Schaffung von Weiterbildungs- und damit Aufstiegsmöglichkeiten
  • Gerechte Entlohnung durch einen gesetzlichen Mindestlohn
  • Gleichberechtigte Teilhabe der ArbeitnehmerInnen am Unternehmensgewinn durch entsprechende Tarifverträge unter Einbeziehung der Produktiivitätsentwicklung.

Mit diesen Forderungen, die durch weitere Anträge und Positionen der Jusos ergänzt werden, ebenen wir den Weg in eine gerechtere Gesellschaft, in der jedeR sich frei nach dem Marxschen Zitat „„Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“ verwirklichen und selbstbestimmt leben kann.

Begründung / Anhang:

Verschiedene Grundeinkommen – Modelle

Es gibt verschiedene Konzepte und Modelle zum Grundeinkommen. Dazu zählen zum Beispiel die negative Einkommenssteuer und das von der FDP geforderte Bürgergeld (siehe Punkt 4), die in der Regel die Bereitschaft zur Annahme einer angebotenen Arbeit voraussetzen.

Bei keinem der Modelle ist es definitiv absehbar, welchen Einfluss sie mittel- und langfristig auf die Verteilung der Einkommen oder das Gehalts- und Preisniveau haben. Die Auszahlung eines Pauschalbetrags an alle Bürgerinnen und Bürger könnte zur Folge haben, dass das Preisniveau insgesamt ansteigt und das Grundeinkommen bald nicht mehr zur Existenzsicherung ausreicht.

1) Das Ulmer Modell

Das bedingungslose Grundeinkommen nach dem Ulmer Modell wird grundsätzlich allen BürgerInnen in Höhe des vom Gesetzgeber festzulegenden Existenzminimums ausgezahlt. Finanziert wird das Bürgergeld aufkommensneutral aus einer Bürgergeldabgabe. Diese Abgabe ist ein fester Prozentsatz des Bruttoeinkommens, welche dann in einem Umlageverfahren verteilt wird.

Kritik: Das Modell zeigt die prinzipielle Finanzierbarkeit eines BGE auf Basis des Status quo, es erlaubt aber keine genaue Prognose für die Zukunft nach seiner Einführung. Es besteht große Unsicherheit über die Entwicklung nach der Einführung eines BGE. Denn die Einführung würde die Basis der Berechnungen verändern und Einfluss haben sowohl auf die Verteilung der Einkommen als auch auf das Gehalts- und Preisniveau.

2) Das Solidarische Bürgergeld nach Dieter Althaus

Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus hat das weiterentwickelte Ulmer Modell aufgegriffen und fordert ein BGE („Solidarisches Bürgergeld“) von 800 Euro für Geringverdiener (bis 1.600 Euro Bruttoeinkommen) und 400 Euro für Menschen mit höherem Einkommen. Alle staatlichen Transferleistungen sollen damit gebündelt werden. Verbunden ist das Konzept mit einer umfangreichen Umgestaltung in der Steuer- und Sozialpolitik. So soll eine Einkommenssteuer von 25% auf alle Einkommensarten erhoben werden. Geringverdiener zahlen keine Steuern, ihr

Bürgergeld verringert sich aber um 50 Cent pro verdientem Euro. Allen BürgerInnen werden automatisch 200 Euro für eine Basis-Krankenversicherung vom Bürgergeld abgezogen.

Kritik: Die Höhe des von Althaus geforderten „Solidarischen Bürgergeldes“ unterschreitet je nach Region und Haushaltsgröße zum Teil Harz IV Niveau. Hinzu kommt, dass auch staatlich finanzierte Sozialarbeit wegfallen könnte. Außerdem wird das Risiko von sozialen Notlagen vollständig individualisiert, ein Anspruch auf zusätzliche Unterstützung besteht nicht. Zudem ist unklar, wie die Leistungen z.B. in der Krankenversicherung gestaltet sind, Hier kann es zu weiteren sozialen Verwerfungen kommen. Für BezieherInnen hoher Einkommen stellt es zum anderen eine massive Entlastung der Steuer- und Abgabenlast dar. Unberücksichtigt sind die Auswirkungen auf das allgemeine Lohnniveau. ArbeitgeberInnen könnten versucht sein, die Arbeitskosten zu Lasten des Staates zu senken. Im Ergebnis würden die Steuereinnahmen tendenziell niedriger ausfallen, als in einer Simulation berechnet wurde. „Zusammengenommen rechtfertigen die mit dem Solidarischen Bürgergeld erzielbaren Beschäftigungsgewinne in keiner Weise die für den Staat damit einhergehenden Finanzierungsrisiken. Höhere Schulden, eine höhere Zinslast und damit eine sinkende Handlungsfähigkeit des Staates wären die Folge.“ (Institut zur Zukunft der Arbeit)

3) Das Grundeinkommen nach Götz Werner

Die Initiative „Unternimm die Zukunft“ von Götz Werner fordert die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, zunächst in Höhe von 200 bis 400 Euro, welches im Verlauf von 15 bis 20 Jahren auf 1.300 bis 1.500 Euro ansteigen soll. Zeitgleich sollen alle Steuern auf Einkommen abgeschafft werden. Die Finanzierung erfolgt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 48%. Nach Werner soll das Grundeinkommen die bestehenden Löhne und Gehälter ersetzen. In Höhe des Grundeinkommens braucht ein Arbeitgeber keine Löhne und Gehälter mehr zu bezahlen, belastet damit den Staatshaushalt und reduziert seine Lohnkosten drastisch.

Werner geht davon aus, dass sich durch die Rationalisierung und Automatisierung in den Produktionsprozessen nie wieder Vollbeschäftigung erreichen lässt. Eine Vergrößerung der Armut durch Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig immer größer werdender Produktivität und einer ungleichen Verteilung des insgesamt steigenden Reichtums seien die Folge.

Die Vorteile seines Konzepts seien ein umfangreicher Abbau staatlicher Bürokratie sowie nur noch eine transparente wettbewerbsneutrale und wertschöpfungsneutrale Steuer. Nicht Leistung, sondern Konsum würde so besteuert. Tarifrecht und Kündigungsschutz würden überflüssig. Allerdings müssten die BürgerInnen ihre Kranken- und Pflegeversicherung dann selbst aufbringen. Ausländische UnternehmerInnen würden wegen der hohen Produktivität mehr in Deutschland produzieren.

Kritik: Fundierte wissenschaftliche Modellrechnungen und Simulationen für das Modell liegen nicht vor. Generell fehlt es an einer konkreten Analyse, auch wird das Modell in vergleichenden Darstellungen kaum als ernstzunehmende Alternative anerkannt.

Das geforderte Grundeinkommen wäre über die Mehrwertsteuer alleine nicht finanzierbar. Zudem birgt die alleinige Finanzierung über Konsumsteuern geradewieder neue soziale Ungerechtigkeiten. Importierte Produkte würden extrem teuer. Es käme zu einer Konsumverlagerung ins Ausland. Auch hier erfolgt eine Individualisierung sozialer Risiken, Leistungen der KV und Pflegeversicherung sind unbestimmt, die Arbetsverhältnisse verschlechtern sich zu Ungunsten der AN, da sämtliche Rechte wegfallen.

4) Das Liberales Bürgergeld nach Mitschke

Der deutsche Ökonom Joachim Mitschke stellte in seinem Buch „Steuer- und Transferordnung aus einem Guß“ das Bürgergeld als Zusammenfassung aller direkten Sozialtransfers vor. Das Bürgergeld solle demnach nur an Bedürftige nach entsprechender Prüfung ausgezahlt werden. Das zuständige Finanzamt sollte diese Prüfung und auch die Auszahlungen des Bürgergelds vornehmen.

Die FDP übernahm diesen Ansatz 1994 in ihr Programm. Das „Liberale Bürgergeld“ wurde auf dem Bundesparteitag 2005 beschlossen. Das Liberale Bürgergeld würde nur bei Vorliegen der Bedingungen Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft gezahlt und ist somit keine Form des bedingungslosen Grundeinkommens. Es beruht auf dem Prinzip der negativen Einkommenssteuer.

Es setzt sich aus Pauschalbeträgen für verschiedene Leistungsbedarfe (Sicherung des Lebensunterhalts, Unterkunft und Heizung, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Nachteilsausgleich bei Nichterwerbsfähigkeit bzw. Schwangerschaft, Mehrbedarfe bei Ausbildung, Behinderungen, Erkrankungen) zusammen. Zwar sollen im Vergleich zum ALG II Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert werden, allerdings werden auch stärkere Sanktionen gefordert, wenn „angebotene zumutbare Arbeit“ abgelehnt wird (Kürzung der Pauschale für den Lebensunterhalt bei jeder Verweigerung um bis zu 30%).

Die Einführung des Liberalen Bürgergeldes würde mit dem Abbau von Kündigungsschutz und der Abschaffung der Allgemeingültigkeit von Flächentarifverträgen einhergehen und insgesamt eine starke Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und mehr Eigenverantwortung vor die BüergerInnen bedeuten.

Zur Finanzierung werden keine konkreten Aussagen gemacht. „Wo immer möglich soll die einkommensabhängige Umverteilung in den Sozialsystemen in das Steuersystem überführt werden.“ (Beschluss des 56. Ordentlichen Bundesparteitages der FDP, Köln, 2005)

Kritik: Mit der Kopplung der Auszahlung an eine Bedürftigkeitsprüfung setzt das liberale Bürgergeld den negativen Aspekt der bisherigen Sozialtransfers fort. Dies verstärkt sich zudem durch die Androhung von Sanktionen, die den Druck auf diejenigen erhöht, die gesellschaftliche Solidarität und Unterstützung benötigen. Es führt zu mehrfachen Diskriminierung durch Bedürftigkeitsprüfung, Sanktionen und durch die zusätzliche Erhöhung des Drucks auf ArbeitnehmerInnen durch die Abschaffung von Flächentarifverträgen und Kündigungsschutz. Hier wird einem Wirtschaftsliberalismus Vorschub geleistet, der nur noch die marktliche Verwertbarkeit des Menschen im Blick hat und Solidarität sowohl als individuelle (Menschenwürde), moralische (Menschenbild) als auch gesellschaftliche Notwenigkeit (sozialer Friede) negiert. Gerade mit Blick auf Koalitionsüberlegungungen der SPD wird hier deutlich, dass das gesellschaftlich- wirtschaftliche Modell der FDP ein Gegenmodell zum sozialdemokratischen Gesellschaftsverständnis darstellt.