Antragssteller*in

N.N.

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N.N.

Antragstext

Die Landeskonferenz möge beschließen:

Mit diesem Antrag wollen wir die Vision eines idealen Bildungssystems formulieren, wie wir es uns vorstellen. Wir denken das Bildungswesen als zusammenhängendes System, was in der öffentlichen Diskussion nur selten geschieht. Dabei konzentrieren wir uns auf den Bereich von der frühkindlichen Bildung bis zum Übergang zur Hochschule. Wir gehen aus von einem emanzipatorischen ganzheitlichen Bildungsbegriff. Bildung ist demnach als Wert an sich zu begreifen, als die Voraussetzung für Selbstreflexion, für das kritische Hinterfragen der herrschenden Verhältnisse und für die Verwirklichung individueller Bedürfnisse. Zugleich ist Bildung Voraussetzung für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt.

Grundsätze

Im Mittelpunkt unseres Bildungssystems steht die individuelle Förderung des Kindes, die das dreigliedrige Schulsystem nicht leisten kann. Die Talente und Interessen der/s Einzelnen müssen so früh wie möglich entdeckt, aktiviert und gefördert werden. So können die Kinder ihre entfalten – die entscheidende Voraussetzung, um später ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen zu können.

Bildung muss von Anfang an stattfinden: Sobald das Kind eine Bildungs- und Betreuungseinrichtung besucht, muss die individuelle Förderung einsetzen. Das Ziel ist, die frühen Lernpotentiale des Kindes zu nutzen und wirkliche Chancengleichheit am Beginn der Schullaufbahn und dauerhaft sicherzustellen. Nur so kann die herrschende soziale Selektion im Bildungssystem überwunden werden. Lebenschancen dürfen nicht mehr von der finanziellen Situation der Eltern abhängen. Deshalb muss es einen gesetzlichen Anspruch auf eine gebührenfreie Ganztagsbetreuung und –bildung ab der neunten Lebenswoche geben. Das ermöglicht es zudem den Eltern, Familie und Beruf zu vereinbaren, und es schafft zeitliche Freiräume für Entspannung und Freizeit.

Das Prinzip „Alle lernen unter einem Dach“ soll gelten: Um soziale Kompetenzen zu fördern und die einzelnen Bildungseinrichtungen best möglich miteinander zu verzahnen, sollten von der Kinderkrippe an alle Einrichtungen an einem Ort angesiedelt sein. Dabei muss gleichzeitig gewährleistet sein, dass allen Kinder solche Bildungszentren wohnortnah zur Verfügung stehen.

Durch individuelle und möglichst frühe Bildung und Betreuung, gezielte Sprachförderung sowohl der deutschen als auch der jeweiligen anderen Muttersprache und viele andere Instrumente werden Kinder mit Migrationshintergrund intensiv gefördert.

Struktur

Das ideale Bildungssystem gliedert sich in drei Phasen: die frühkindliche Erziehung, die Schulbildung und die Berufsbildung (siehe Tabelle im Anhang). Ab der neunten Lebenswoche gibt es ein gebührenfreies Betreuungsangebot für alle Kinder. Für alle Kinder besteht ab dem vollendeten dritten Lebensjahr die Verpflichtung zum halbtäglichen Besuch eines Kindergartens, um sprachliche Defizite zu beheben, sowie die Prägung durch das Elternhaus durch andere soziale Erfahrungen zu ergänzen. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber angehalten sicherzustellen, dass ein mindestens 10-stündiges Ganztagsangebot in den Kindergärten vorgehalten wird und ausreichend SozialpädagogInnen zur Unterstützung der Erziehungsarbeit zur Verfügung stehen. Das Ziel: Wirkliche Chancengleichheit beim Start in die Schule, die höher wiegt als der Eingriff in die Erziehungsfreiheit der Eltern, der bei der Schulpflicht kaum in Frage gestellt wird. Der Kindergarten soll auf die Schule vorbereiten, beispielsweise durch eine Kooperation mit Gemeinschaftsschulen. Deshalb soll die Erzieher/-innenausbildung im beruflichen Bildungssystem gleichwertig als Fachhochschulstudium anerkannt werden.

Die verpflichtende Ganztags- und Gemeinschaftsschule reicht von der ersten bis zur zehnten Klasse, damit alle SchülerInnen gleich gut gefördert werden. Das Einschulungsalter liegt bei sechs Jahren, in seltenen Ausnahmefällen auch darüber oder ein Jahr darunter, je nach Entwicklungsstand des Kindes. Am Ende steht der Gemeinschaftsschulabschluss, der für eine Berufsausbildung qualifiziert. Diese dauert drei Jahre und muss im dualen System absolviert werden. Die Fachhochschulreife bzw. die fachgebundene Hochschulreife kann durch Belegen von Zusatzkursen während der Berufsausbildung oder in einer einjährigen Vollzeitform erreicht werden. Wer die Fachhochschulreife bzw. die fachgebundene Hochschulreife besitzt und einen einjährigen studienvorbereitenden Kurs besucht, erlangt die allgemeine Hochschulreife.  Diese Hochschulzugangsberechtigung erwerben auch Jugendliche, die zwei Jahre länger die Gemeinschaftsschule erfolgreich besuchen. Geistig beeinträchtigte Kinder werden in speziellen Förderklassen unterrichtet, wenn sie in den „Regelklassen“ nicht gefördert werden können.

Inhalte

Ziel ist es, dass die Kinder ein breites Basiswissen und grundlegende soziale Kompetenzen, Inhalte, Fertigkeiten und Schlüsselqualifikationen erlangen. Im Kindergarten sollen sozialer Umgang, Sprachförderung inklusive der Muttersprache, mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen und ästhetische Erziehung spielerisch erlernt werden.

Neben Deutsch, Mathematik und Sport, die durchgängig unterrichtet werden, kann man jederzeit Kunst, Musik und Darstellendes Spiel wählen. Von der ersten bis zur sechsten Klasse wird Sachkunde erteilt. Ab der 7. Klasse werden die Themenbereiche Erdkunde, Geschichte, Gesellschaftskunde im gemeinschaftskundlichen Bereich und Physik, Chemie und Biologie im naturwissenschaftlichen Bereich unterrichtet. Der Unterricht weiterer Sprachen beginnt in der 3. Klasse, eine weitere Sprache setzt in der 5. Klasse ein. Bis zum Ende der 10. Klassen sind mindestens zwei moderne weitere Sprachen zu erlernen. Der Themenbereich Religion und Ethik beginnt in der ersten Klasse. Hierbei können die Eltern (bis Klasse 6) bzw. die SchülerInnen (ab Klasse 7) zwischen der Vermittlung von Themen entweder spezifischer Religionen und Konfessionen (z.B. evangelische, jüdische, katholische und muslimische Religion) oder ab der 1. Klasse Religionen/Kulturen/Werte (RKW) und ab der 7. Klasse Ethik/soziale Kompetenzen/Philosophie wählen. Durchgängig werden Computerkenntnisse vermittelt, ab der 9. Klasse wird fakultativ das Fach Informatik angeboten. Andere Arbeitstechniken wie Teamarbeit, Selbstorganisation und Medienkompetenz werden integriert vermittelt. Außerdem gibt es ein breites Angebot an zusätzlichen Kursen und Arbeitsgemeinschaften wie beispielsweise Theater, Literatur, weitere Sprachen wie Türkisch, Spanisch, Italienisch und andere aber auch Kochen und Heimwerken, um die über den Unterrichtsstoff hinausgehenden Interessen und Talente zu fördern.

Pädagogik

Zusätzlich zu den bisherigen Schulnoten werden schriftliche Beurteilungen verfasst, die Verhalten und Leistungsentwicklung der SchülerInnen angemessen widerspiegeln. Jeweils zum Halbjahr erhalten die SchülerInnen einen Bericht über ihre Leistungen, über ihren Leistungsstand, ihre Entwicklungsziele mit gezielten Fördermaßnahmen, der gemeinsam mit dem LehrerInnenteam und den Eltern besprochen wird. Das Sitzenbleiben wird abgeschafft. Die freiwillige Widerholung einer Klassenstufe bleibt aber weiterhin möglich. Für den Gemeinschaftsschulabschluss nach der 10. bzw. 12. Klasse müssen die SchülerInnen die geforderten Kompetenzen und Fertigkeiten erlernt haben, die in den Abschlussbeurteilungen detailliert aufzuführen sind. Für junge Menschen, deren Defizite so groß sind, dass sie im schulischen Rahmen nicht behoben werden können, wird gebührenfreier Förderunterricht angeboten.

Die Lerninhalte werden als Module konzipiert. Für jedes Fach gibt es ein Basismodul, das für alle SchülerInnen verpflichtend ist, und ein Leistungs- (zur Vertiefung) und ein Fördermodul (zur Förderung). Aus diesen beiden Modulen wählt die/der SchülerIn ein Modul aus, je nach Leistungsstand und Interesse. Innerhalb der Module hat die Lehrperson Auswahl- und Ergänzungsmöglichkeiten, um eigene Impulse in den Unterricht einbringen zu können. Zusatzqualifikationen wie Rhetorik oder den Umgang mit Medien erlernen die jungen Menschen im Rahmen des Basismoduls. Die Vorzüge des Modulkonzepts: Die SchülerInnen können ihre Talente und Neigungen durch mehr Wahlmöglichkeiten entwickeln. Fächerübergreifender und praxisorientierter Unterricht ist möglich. Thematische Zusammenhänge können erarbeitet und mit methodischen Kompetenzen kombiniert werden.

Eine Schule zum Wohlfühlen, in der sich die SchülerInnen selbst verwirklichen können, selbst Verantwortung für ihre eigenen Lernprozesse übernehmen und dabei von den LehrerInnen best möglich gefördert werden – das muss Pädagogik leisten. Die Instrumente, um dies zu erreichen: Die Klassengröße beträgt 15 bis 20 SchülerInnen, wodurch eine effektive Förderung erst möglich wird. SchülerInnen, die schneller lernen, helfen ihren schwächeren MitschülerInnen, wovon beide profitieren. Die zusätzliche Zeit am Nachmittag wird für innovative pädagogische Konzepte im gesamten Unterricht, mehr Freiraum für die SchülerInnen bei der Auswahl der Lerninhalte und Methoden und ein vielfältiges Angebot an zusätzlichen Kursen und Arbeitsgemeinschaften genutzt, an dem sich örtliche Vereine sozialpädagogisch begleitet beteiligen. Eine Mischung verschiedenster Methoden und Themen gewährleistet unter anderem ein geschlechtergerechtes Lernen. Der starre 45-Minunten-Takt wird durch eine flexible Zeiteinteilung ersetzt, um thematische Zusammenhänge vermitteln zu können und Raum für selbstständiges Arbeiten zu geben. In einer solchen Rhythmisierung wechseln sich Phasen der kognitiven Arbeit mit Phasen kreativen Schaffens ab.

Fächerübergreifend und praxisnah ist der Unterricht zu gestalten. Das bedeutet, dass die LehrerInnen immer, wenn es möglich ist, die Lehrinhalte mit der Lebenswelt der SchülerInnen verbinden, um einen höheren Lernerfolg zu erreichen. Geschlechtergerechtigkeit spielt hierbei als Querschnittsthema eine wichtige Rolle. Dies kann unter anderem durch Exkursionen, andere außerschuliche Aktivitäten und den Einsatz verschiedener Methoden und Medien erreicht werden. Dabei sollen die SchülerInnen zugleich dazu befähigt werden, Medien effizient zu nutzen und damit kritisch umzugehen. Berufspraktika, ein verpflichtendes betreutes Praktikum im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich und eine Kooperation mit speziell geschulten Mitarbeitern der Arbeitsagentur sollen frühzeitig und nachhaltig auf den Beruf vorbereiten und soziale Kompetenzen vermitteln.

Damit all diese Instrumente wirken, müssen die SchülerInnen weit reichende Mitbestimmungsrechte erhalten. Mittels Fragebögen und im gemeinsamen Gespräch mit den LehrerInnen bewerten die SchülerInnen den Unterricht und gestalten ihn so aktiv mit. Mit einer gemeinsam erarbeiteten Schulverfassung und Klassenregeln wird erreicht, dass sich die SchülerInnen mit ihrer Schule identifizieren. Auf Klassenebene hat ein paritätisch mit SchülerInnen, SozialpädaogInnen/SozialarbeiterInnen und LehrerInnen besetzter Klassenrat umfassende Entscheidungskompetenzen. Ein Schulrat, in dem eine paritätische Besetzung zwischen SchülerInnen und pädagogischem Fachpersonal (LehrerInnen und SozialpädagogInnen/SozialarbeiterInnen), die alle gleichberechtigt agieren, bei beratendem Einbezug der Eltern herrscht, ist das entsprechende Gremium auf Schulebene, das über Budgets, Einstellung und Versetzung von LehrerInnen und Lerninhalte entscheidet.

LehrerInnen unterstützen sich gegenseitig in Jahrgangsteams, beispielsweise indem sie gemeinsam Materialien erarbeiten, sich Ratschläge geben und gemeinsame Aktivitäten planen. Diese Teams begleiten eine Klassenstufe zwischen drei und sechs Jahre lang. Je eine Lehrerin und ein Lehrer sollen immer zeitgleich eine Klasse unterrichten, um eine individuelle Förderung sicherzustellen. Um die LehrerInnen zu diesem anspruchsvollen Unterricht zu befähigen, finden regelmäßig verpflichtende Fortbildungen statt.

Wir fordern, die Zahl der SozialpädagogInnen/SozialarbeiterInnen an Schulen zu erhöhen. Schulsozialarbeit wird zunehmend wichtiger, weil gesellschaftliche Veränderungsprozesse und ihr Niederschlag in der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen eine immer größere Rolle spielen. SozialpädagogInnen/SozialarbeiterInnen haben die Aufgabe, die schulische Sozialisation und die Stabilisierung der Schullaufbahn zu unterstützen, die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und den Übergang von der Schule in den Beruf zu begleiten. Außerdem werden sie den im Wandel begriffenen familiären Alltag unterstützen, Methoden und Didaktiken für schwache SchülerInnen gezielt während des Unterrichts einbringen und die SchülerInnenkompetenzen verstärken.

Fazit

Dieses Modell eines idealen Bildungssystems erfordert die Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel: Mehr Personal, eine bessere Ausbildung der LehrerInnen, bauliche Maßnahmen und eine bessere Ausstattung machen Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten zu Gunsten der Bildung unumgänglich. Die Schulstruktur muss erheblich verändert werden: von einer Grundschule, gefolgt von einem dreigliedrigen Schulsystem hin zu einer Gemeinschaftsschule von der ersten bis zur zehnten beziehungsweise zwölften Klasse. Vor allem aber muss sich in den Köpfen aller Beteiligten etwas ändern: Bei den LehrerInnen, deren Ausbildung so umgestaltet werden muss, dass sie die neue Bildungsphilosophie umsetzen können, genauso bei den SchülerInnen, die die Chancen des selbstbestimmten Lernens nutzen müssen, und den Eltern, die dies unterstützend zu begleiten haben. Das erfordert den Abschied von althergebrachten Gewohnheiten, viel Aufwand und Kraft und nicht zuletzt Mut, Neues zu wagen. Es würde sich lohnen.