Antragssteller*in

N.N.

Zur Weiterleitung an

SPD-Landtagsfraktion, SPD-Landesgruppe im Bundestag, SPD-Landesvorstand

Antragstext

Die Landeskonferenz möge beschließen:

Um Ansprüche an eine solidarische, gerechte Familienpolitik zu stellen, ist es wichtig zu wissen, was man genau unter Familie versteht oder was wir darunter verstehen wollen.

Die herkömmliche – auch von der Bundesregierung benutzte – Definition geht davon aus, dass „Familie da ist, wo Kinder sind“. Diese Definition reduziert Familienpolitik auf eine Politik, die nur dort eingreift, wo Kinder sind, eher also Kinderpolitik ist, die die Betreuenden zusätzlich unterstützt.

Wir Jusos fassen den Familienbegriff weiter und folgen der Definition der AWO: „Familie ist überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken.“

Der Begriff ist damit nicht mehr auf Familie als Lebensform mit Kindern beschränkt, sondern umfasst einerseits auch Beziehungen, die nicht auf Verwandtschaft oder Ehe beruhen, und andererseits meint er alle Lebensstadien, also auch zum Beispiel Konstellationen, in denen Eltern oder ein nahe stehender älterer Mensch von jemandem betreut und/ oder gepflegt wird.

Aus diesem veränderten Verständnis von Familie leiten sich weitergehende Einzelforderungen ab, die über die Forderung nach einer Zeit-, Transfer- und Infrastrukturpolitik für Eltern und Kinder – die wir selbstverständlich weiterhin vehement verfolgen – hinaus geht.

Wir setzen uns dafür ein, dass keine Lebensform bevorzugt und zugleich keine benachteiligt wird. Allen Menschen ist das gleiche Recht für die von ihnen gewählte Lebensform zuzugestehen, solange nicht unmittelbare Rechte anderer wie das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung gefährdet werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Unterstützung gewährt wird; nur darf sich diese nicht an der Lebensform orientieren, sondern an den berechtigten Bedürfnissen der Menschen und Familienmitglieder.

Rechtliche Diskriminierung beenden.

Das heißt für uns, dass die Forderung, das Ehegattensplitting, das einseitig die Ehe als Lebensform – unabhängig von ihrer Ausgestaltung – unterstützt, abzuschaffen, endlich politisch eingelöst werden muss. Auch müssen alle weiteren rechtlichen und institutionellen Diskriminierungen beendet werden. Dazu zählt für uns auch eine Ausdehnung des Adoptionsrechts auf homosexuelle Paare. Dies widerspricht unserer Meinung nach nicht dem Gebot des Adoptionsrechts, dem Wohle des Kindes zu dienen und dafür Sorge zu tragen, dass „zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht“ (§1741 BGB). Unserer Meinung nach ist es vorrangig zu prüfen, ob diesem Grundsatz des Kindeswohls Rechnung getragen werden kann, durch die emotionale und materielle Umgebung, die seine neue Familie bieten kann. 

Infrastrukturpolitik – familiengerecht gestalten

Infrastrukturleistungen sind, da sie allen in gleichem Maße zu Gute kommen, einzelnen finanziellen Leistungen, die unter bestimmten Bedingungen gezahlt werden, vorzuziehen. Dieser Wandel kann sich jedoch sowohl aufgrund der institutionellen Gegebenheiten als auch in Anbetracht der mangelnden finanziellen Ausstattung vieler Familien nur langfristig und in Zusammenhang mit der Einlösung weiterer politischer Forderungen (siehe Transfer und Zeitpolitik) vollziehen.

Zu den wichtigen Infrastrukturleistungen, die staatlich organisiert und auch teilweise finanziert werden müssen, gehören für uns unter anderem:

  • Kinderbetreuung ab null Jahren gebührenfrei. Diese Möglichkeit muss allen Eltern und auch Kindern zur Verfügung gestellt werden. Damit unterstützen wir nicht nur individuelle Lebensentwürfe und die Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf, sondern die Entwicklung der Kinder in einer pädagogischen Umgebung mit zahlreichen sozialen Kontakten zu Gleichaltrigen. Die Kostenfreiheit ist unabdingbar, um Elternschaft unabhängig von der materiellen Absicherung zu gewährleisten.
  • Ambulante, teilstationäre und stationäre Betreuung Älterer und Pflegebedürftiger. In den letzten Jahren ist insbesondere die teilstationäre und ambulante Betreuung ausgebaut worden. Auch Modelle zur kurzfristigen Pflege werden bereits erprobt. Hier gilt es anzusetzen und die Pflege- und Betreuungsmöglichkeiten für Ältere und Pflegebedürftige weiter auszubauen. Eine bedarfsgerechte Betreuung wie zum Beispiel stundenweise, um die Familie zu entlasten und zu unterstützen, muss hier ebenso gebührenfrei möglich sein wie in der Kinderbetreuung.
  • Barrierefreies Leben umfasst viele Bereiche des alltäglichen Lebens. Für uns bezieht sich der Umbau der Infrastruktur vor allem auf öffentliche – nicht nur staatliche oder kommunale – Einrichtungen, Geschäfte, öffentlichen Personenverkehr, Straßen (zum Beispiel abgesenkte Bürgersteige) und Wohnungen. Barrierefreiheit ist damit nicht nur eine Unterstützung für Menschen mit körperlichen Gebrechen, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen. Jegliche Freizeitgestaltung, ob Kino oder Schwimmbadbesuch, muss für alle möglich sein. Finanzielle Barrieren wie hohe Eintrittspreise müssen sozialverträglich durch Staffelungen und Ermäßigungen gestaltet werden.
  • Der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ist nötig, um Mobilität für alle Bevölkerungsschichten und insbesondere Ältere und Junge zu gewährleisten. Dies gilt auch für den ländlichen Raum. 

Transferpolitik – materielle Basis für alle sichern

Ohne finanzielle Basis ist keine Familie überlebensfähig. Deshalb fordern wir:

  • Hohes Einkommen durch Erwerbsarbeit sichern. Dazu ist es notwendig, dass jedeR die Möglichkeit hat, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit ist es daher notwendig, neue Impulse in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu setzen, durch Arbeitszeitverkürzung und einen Ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors.
  • Die Jusos Rheinland-Pfalz setzen sich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestnettolohns ein. Dabei unterstützen wir die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach einer Festschreibung eines Mindeststundenlohns von 7,50 Euro für alle Branchen.
  • Erhöhung sozialstaatlicher Transfers. Sozialtransfers wie Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe sowie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz reichen nicht aus, um den täglichen Bedarf von Familien zu decken. Deshalb ist eine Erhöhung notwendig; ein Verstoß gegen das Lohnabstandsgesetz wäre dies, wie jüngste Studien des WSI zeigen, nicht.
  • Kindergeld in einem sozial gerechten Rahmenkonzept langfristig zugunsten Infrastrukturinvestitionen abbauen. Das Kindergeld wird für alle Kinder in gleicher Höhe ausgezahlt, obwohl es aufgrund ihrer finanziellen Situation für viele Eltern und Kinder kaum nötig ist. Einer kurzfristigen Abschaffung steht jedoch entgegen, dass auf der anderen Seite ohne Kindergeld für viele Familien ein ausreichendes Haushaltseinkommen nicht gesichert ist. Langfristig ist jedoch in einem Rahmenkonzept, dass eine Schlechterstellung finanziell schwacher Familien vermeidet, das Kindergeld sukzessive abzubauen. Eine solche Schlechterstellung ließe sich zum Beispiel durch Kinderzuschläge bei der Sozialhilfe und ALG II, aber auch durch ergänzende Transfers im Rahmen der Einkommensteuer, wenn das Haushaltseinkommen unter einer bestimmten Grenze liegt, verhindern.
  • Die beschlossene Kindergeldstreichung ab dem 25. Lebensjahr lehnen wir ab, da weder das BAföG noch andere finanzielle Rahmenbedingungen wie Sozialtransfers angepasst wurden und dafür sorgen, dass Studium und Ausbildung trotz des Wegfalls des Kindergeldes ausreichend gesichert sind.
  • Die Elterngeldregelung muss korrigiert werden. Mit der Verabschiedung der neuen Regelungenzum Eltergeld ist zum einen durchgesetzt worden, dass jedes Elternteil mindestens zwei Monate Elternzeit nehmen muss, damit die vollen Leistungen ausgezahlt werden. Dies ist zu begrüßen, wenn auch die Regelung 12 Monate/ 2 Monate nicht wirklich auf Teilung der Erziehungsarbeit abzielt.
    Die Lohnersatzfunktion des Elterngeldes, das 67Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit beträgt, ist ebenfalls zu begrüßen und stellt so sicher, dass Erziehungszeiten sich finanziell weniger dramatisch auswirken und Anreize zur Elternzeit gesetzt werden.
    Allerdings stehen sich Menschen mit geringem Einkommen beziehungsweise TransferleistungsempfängerInnen schlechter als mit der Erziehungsgeldregelung, die ihnen bis zum 24. Lebensmonat monatlich bis zu 300 Euro beziehungsweise bis zum zwölften Lebensmonat monatlich bis zu 450 Euro garantierte. Jetzt erhalten Eltern maximal 300 Euro für 14 Monate. Wir fordern, das Elterngeld auf 520 Euro im Sockelbetrag anzuheben, um die Schlechterstellung gegenüber dem Erziehungsgeld zu beseitigen.
  • Elternschaft erleichtern und nicht erschweren. Menschen werden meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren Eltern. In dieser Phase, in die gegebenenfalls der Kauf eines Eigenheims und viele Anschaffungen fallen, benötigen junge Menschen finanzielle Ressourcen. Sowohl in der Tarifpolitik als auch in den öffentlichen Regelungen für Angestellte und Beamte ist das Erwerbseinkommen nach Dienstjahren und Lebensalter gestaffelt. Dies führt dazu, dass junge Menschen gerade beim Berufeinstieg wenig verdienen, später ein höheres Einkommen haben. Zwischen den finanziellen Bedarfen und den Einkommensstrukturen besteht jedoch nach unserer Ansicht eine Passungslücke. Deshalb kritisieren wir jegliche Änderung, die Einkommen von Berufeinsteigern zu reduzieren. Dazu gehört auch das rheinland-pfälzische Vorhaben, „bei Beamten und Richtern die Bezahlung der künftigen Berufanfängern abzusenken.“ Wir fordern die Landesregierung im Sinne einer vernünftigen Elternpolitik auf, diese Vorhaben zu überdenken. Zudem sprechen wir uns dafür aus, dass die Tarifparteien den Aspekt des Bedarfs und der Einkommensstaffelung unter dem Blickwinkel der Elternfreundlichkeit prüfen, Einstiegsgehälter insbesondere erhöhen ohne jedoch die berechtigten Ansprüche Älterer zu vernachlässigen.

Zeitpolitik – Mehr Zeit für sich und die Familie

Familie bedeutet nach unser Definition, Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und  Zuwendung schenken. Dafür bedarf es nicht nur der finanziellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen, sondern auch eines entsprechenden Zeitbudgets.

  • Flexible familiengerechte Arbeitszeiten. Die Arbeitszeit von Erwerbstätigen ist oft sehr flexibel gestaltet, jedoch einseitig zu Gunsten der ArbeitgeberInnen. Überstunden, Arbeit von zu Hause und am Wochenende über die Normalarbeitszeit hinaus sind keine Seltenheit. Dagegen setzt Zeitpolitik bei den Beschäftigten an und ermöglicht zeitlich fließende flexible Modelle der Wochenarbeitszeit. Dabei müssen auch Möglichkeiten über die eines Halbtags- oder Fulltimejobs gegeben sein. Job-Sharing, Homearbeit im Rahmen der Wochenarbeitszeit oder Zeitkonten bieten hier Möglichkeiten. Elternfreundliche Regelungen zur Tagesarbeitszeit setzen da ein, wo die Arbeitszeit ab Verlassen des Hauses zählt und so Wege zur Arbeit, zur Kindertagesstätte oder Schule mit berücksichtigt werden.
  • Im Lebensverlauf gibt es je nach familiärer und Lebenssituation Zeiten, in denen mehr Arbeit möglich, weniger Arbeit nötig ist. Dazu müssen Regelungen gefunden werden, wie Lebensarbeitszeit flexibel gestaltet werden kann. Eine vorher genau zu planende Auszeit stellen Sabbaticals dar, bei denen über mehrere Jahre Arbeitszeit oder Gehalt „gesammelt“ wird, um dann eine längere Zeit mit Bezahlung die Arbeitszeit ruhen zu lassen. Diese Möglichkeit ist für alle Branchen sicherzustellen.Darüber hinaus sind weitere Modelle in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu erörtern und modellhaft zu erproben.
  • Pflegezeit wie Elternzeit. Elternzeit und ihre Notwenigkeit sind in unserer Gesellschaft anerkannt. Sind jedoch aus dem Kindesalter erwachsene Familienangehörige zu pflegen, so gibt es außer unbezahltem Urlaub wenige Möglichkeiten, neben der Erwerbstätigkeit beziehungsweise mit gesichertem Einkommen die Pflege zu Hause oder im familiären Umfeld zu gewährleisten. Insbesondere Frauen leiden darunter und bleiben zu Hause, um für die Familienmitglieder zu sorgen. Hier ist sicherzustellen, dass als Pendant zur Elternzeit eine Pflegezeit eingeführt wird, während dieser auch Pflegegeld mit Lohnersatzfunktion gezahlt wird.

Familienpolitik in einem so weit gefassten Sinne steckt noch in den Kinderschuhen und wird kaum diskutiert. Für uns ist es wichtig, die geforderten Ansätze und Impulse in einer neuen Familienpolitik zu diskutieren, weiterzudenken, zu ergänzen und politisch umzusetzen. Denn nur eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder bei der Umsetzung ihrer Lebensentwürfe unterstützt, ist eine solidarische Gesellschaft.