Antragsteller*in

N.N.

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N.N.

Antragstext

Der Verfassungsschutz soll sich verstärkt mit der Reichsbürgerbewegung beschäftigen. Mitarbeiter*innen von Ämtern und Behörden sollen durch Leitfäden und Vorträge für den Umgang mit Reichsbürger_innen geschult werden. Außerdem sollen Stiftungen und Initiativen, die sich mit Ausstiegs- und Präventionsarbeit zum Thema „Reichsbürger“ beschäftigen, stärker gefördert werden. Zudem fordern wir Aufklärung über die Reichsbürgerbewegung im Schulunterricht.

Begründung:

Aluhüte, Personenausweise, Xavier Naidoo – das Bild des paranoiden Spinners hat sich als Metapher für den/die Reichsbürger_in eingebrannt. Doch schon lange sind nicht alle Menschen mit reichsideologischem Gedankengut geistig verwirrte Querulanten. Das konsequente Wegschauen der Behörden bei der Reichsbürgerbewegung über Jahre hinweg wirkt sich nun negativ aus. Denn die Reichsbürger*innen werden mittlerweile für Ämter und Verwaltungen zu einem echten Problem und zunehmend auch zu einer ernstzunehmenden Gefahr.

Die Reichsbürgerbewegung ist an sich eine vollkommen heterogene Gruppe mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen. Sie eint jedoch die grundlegende Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei und dass das Deutsche Reich völkerrechtlich weiterhin fortbestehe. Diese Erkenntnis ist eine Schlussfolgerung der Tatsache, dass es zur Beendigung des zweiten Weltkrieges zwar eine Kapitulation der Wehrmacht, allerdings keinen Friedensvertrag zwischen den Siegermächten und dem Deutschen Reich gab. Folglich sei das Deutsche Reich nach dem zweiten Weltkrieg nicht untergegangen. Diese Theorie ist allerdings nicht neu und wurde in den frühen Jahren der Bundesrepublik allgemein als wahr empfunden. Die Wiederherstellung der Grenzen von 1937 wurde in sämtlichen Parteiprogrammen – auch in dem der SPD – gefordert. Hinfällig wurde diese Forderung allerdings frühestens mit den Deutschlandverträgen 1952 und spätestens mit den Zwei-plus-vier-Verträgen 1990, die die volle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland seitens der Siegermächte garantieren. Eine Wahrheit, die die Reichsbürgerbewegung konsequent ignoriert. Stattdessen wird das Deutsche Reich glorifiziert und als etwas Erstrebenswertes dargestellt, zunächst wurde sich oft auf das Deutsche Kaiserreich berufen, später war, vermutlich auch aufgrund von Abgrenzungsversuchen zum rechtsextremen Milieu, die Weimarer Republik unter den Reichsbürgern beliebt, doch in letzter Zeit werden immer mehr Gruppen aktiv, die direkte Bezüge zum nationalsozialistischen Deutschland herstellen.

Eine solche Form von Geschichtsrevisionismus kam erstmals in den frühen Fünfziger Jahren auf, in Form von mit Alt-Nazis besetzten Kleinparteien, wie die Sozialistische Reichspartei oder der Deutschen Rechtspartei, allerdings relativ erfolglos. Die erste Gruppe reichsideologischer Gesinnung, wie sie heute definiert ist, entstand 1985, als der, wie sich später herausstellte, an einer psychischen Störung leidende Wolfgang Ebel eine „kommissarische Reichsregierung“ (KRR) gründete, welcher er bis zu seinem Tod 2014 als Reichskanzler vorstand. Aufgrund von szenetypischen Anfeindungen und Abspaltungen gibt es mittlerweile sieben verschiedene, direkt aus Ebels Ur-KRR hervorgehende kommissarische Reichsregierungen. Einen Boom erlebte die Szene um2010, als die Reichsbürgerbewegung das Internet und die sozialen Netzwerke für sich entdeckte, was wiederum zur Gründung zahlreicher neuen Reiche, Regierungen und Parlamente führte. Zur Zeit gibt es 33 bekannte reichsideologische Scheinstaaten (Stand: August 2016), davon 11 mal „Deutsches Reich“, drei mal „Deutschland“, zwei Mal „Preußen“, ein mal „Freie Stadt Danzig“ (mit Sitz im oberfränkischen Coburg), des Weiteren „Königreich Deutschland“, „Germanitien“, „Atlantis“, „Republik Freies Deutschland“ und weitere fantasievolle Namen. Die exakte Anzahl dieser Staaten kann jedoch nur schwer erfasst werden, da sich aufgrund der raschen Verbreitung dieser Theorie schnell neue Gruppen formieren, diese sich aber oftmals zerstreiten und voneinander abspalten.

Die Tatsache, dass Reichsbürger_innen die staatliche Gewalt der Bundesrepublik nicht anerkennen, führt dazu, dass sie denken, dass Steuern, Strafen und sonstige Abgaben für sie nicht gelten. Diese Leute geben ihre Personalausweise zurück und erläutern den Behörden und Ämtern in seitenlangen Erklärungen, die sie per Fax oder Post verschicken, warum sie kein „Personal“ der „BRD-GmbH“ seien und warum sie deswegen auch keine Steuern bezahlen müssten. Ganze Verwaltungen werden durch Reichsbürger_innen lahmgelegt, da den Beamten deswegen die Zeit fehlt, sich mit wichtigeren Anliegen zu beschäftigen. Deswegen wird so etwas mittlerweile häufiger von den Ämtern ignoriert, was allerdings, ganz nach der Formel „Wer schweigt, stimmt zu“ als Bestätigung gesehen wird. Versuche der Mitarbeiter*innen, diese Schreiben argumentativ zu widerlegen, führen nur zu heftigen verbalen Gegenreaktionen seitens der Reichsbürger*innen. Im schlimmsten Fall endet dies in einem Teufelskreis.

Fehlende Arbeitszeit ist für die Mitarbeiter_innen der Behörden allerdings das geringste Problem. Menschen mit niedriger Frustrationstoleranz und hohem Aggressionspotenzial, die keinen Ausweg mehr sehen, können zu Gewaltausbrüchen und Kurzschlusshandlungen neigen. Der Reichsbürger Christoph Kastius, der seit 2015 regelmäßig den „Sturm auf den Reichstag“ ankündigt, stürmte mit einer Axt bewaffnet ein Arbeitsamt in Berlin und zerstörte Einrichtung, Türen, Computer und bedrohte eine Mitarbeiterin. Im Jahr 2012 griff eine bewaffnete und uniformierte reichsdeutsche Bürgerwehr namens „Deutsches Polizeihilfswerk“ (DPHW), welches zeitweise über 100 Mitglieder zählte, einen Gerichtsvollzieher an und nahm dieses daraufhin fest. Dem ehemaligen Betreiber eines Esoterik-Ladens, Peter Fitzek, der sich als König eines verlassenen Krankenhausgeländes namens „Königreich Deutschland“ nahe Wittenberg von mindestens 800 bekannten Anhängern als König feiern ließ, werden Vermögensdelikte an seinen „Untertanen“ in Form von Scheinbanken und Scheinversicherungen nachgesagt, deren Summe sich auf über drei Millionen Euro beläuft (es sind im Übrigen auch Kontakte zwischen Fitzek und der AfD bekannt)). Die Familie Griesbach, die Ende 2015 in Russland Asyl beantragte, lebt seit Monaten in einem Van auf einem russischen Parkplatz, ohne finanzielle Mittel, dafür mit Kleinkindern. Diese Beispiele zeigen, dass Reichsbürger*innen nicht nur ihre eigene, sondern auch die Existenz ihrer Mitmenschen zerstören können.

Reichsbürger_innen können nicht per se als rechtsextrem abgestempelt werden. Zwar ist es richtig, dass führenden Figuren der Szene (Norbert Schittke (Reichskanzler), Erhard Lorenz (Volksbundesrath), Jürgen Neimiz (König)) generell rechtsextreme bis neonationalsozialistische Ideologie zu unterstellen ist, was darauf schließen lässt, dass eine langfristige Anhängerschaft dieser Ideologie für solches Gedankengut sensibilisiert. Auch ist richtig, dass die AfD eine nicht unwesentliche Schnittmenge mit der Reichsbürgerbewegung teilt (zumindest ist im Antragsbuch der AfD zum BPT 2016 ein eindeutig reichsideologischer Antrag zu finden, S.9-13). Um jedoch den der Ideologie zu Grunde liegenden Argumenten, z.B. die nicht-Existenz eines Friedensvertrags, zu folgen, braucht es an sich keine rechte Gesinnung. Zudem ist es schwer, die Argumente ohne tiefgehendes juristisches Wissen zu widerlegen. Aus diesem Grund können Menschen aller politischen Orientierungen auf die Argumente hereinfallen und sich reichsideologisches Gedankengut aneignen. Die Informationen werden als skandalträchtig und faszinierend inszeniert. Wenn eine Person so sehr in diese Ideologie abrutscht, dass es den Mitmenschen auffällt, ist diese oftmals Gegenargumenten nicht mehr zugänglich, da jeder Gegenbeweis, egal wie richtig er sein mag, als Lüge abgetan wird. Aus diesem Grund verbreitet sich die Reichsideologie durch das Internet und die sozialen Netzwerke schneller als andere Verschwörungstheorien. Aus dem Kontext gerissene Videoschnipsel von Schäuble, Gysi oder Gabriel, in denen von staatlicher Souveränität die Rede ist, werden triumphierend als Beweis der eigenen Argumente präsentiert. Menschen, die die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aberkennen, sind zudem auch anfälliger für andere Verschwörungstheorien wie Chemtrails (die Schnittmenge zwischen den beiden Theorien ist überwältigend groß), NWO, Illuminaten, was meistens in Antisemitismus gipfelt. Die „Crème de la Crème“ der Verschwörer waren die Neuschwabenland-Foren (NSL-Foren), auf denen von Militär- und Raumfahrttechnologie im 3. Reich, interstellarer Geschichte, Flugbasen für Reichsflugscheiben der Waffen-SS im Sonnensystem und in der Antarktis, hohler Erde oder der Herkunft der Arier fantasiert wurde.

Obwohl die Ideologie klar in ihren antidemokratischen und geschichtsrevisionistischen Zügen gegen das Grundgesetz verstößt, hat der Verfassungsschutz die Reichsbürgerbewegung bis heute beinahe gänzlich ignoriert. Es wird Zeit, diese Bewegung endlich als ernstzunehmende extremistische Kraft anzuerkennen. Des Weiteren müssen Mitarbeiter_innen von Ämtern und Verwaltungen für die Konfrontation mit Reichsbürger_innen zu ihrem eigenen Schutz geschult werden, etwa durch Vorträge und Leitfäden. Solche Leitfäden wurden bereits in einigen Bundesländern erstellt. Schlussendlich kann man diese Ideologie endgültig nur durch Prävention bekämpfen. Die Amadeu Antonio Stiftung erarbeitete bereits etwaiges Bildungsmaterial und muss in dieser Arbeit weiter unterstützt werden. Eine weitere bemerkenswerte Initiative ist das Projekt „Der Goldene Aluhut“, welches von einer Sektenaussteigerin gegründet wurde und heute Aufklärungs- und Aussteigerangebote zum Thema Verschwörungen betreibt – bislang jedoch ohne staatliche Förderung. Dieser Umstand muss dringend geändert werden. Schlussendlich benötigt es jedoch einer Aufklärung im Schulunterricht, um diese Bewegung nachhaltig zu bekämpfen.

Es ist Zeit, diesen gefährlichen Geschichtsrevisionismus zu stoppen. Wenn das Problem der reichsideologischen Propaganda weiterhin ignoriert wird, wird die Reichsbürgerbewegung eine Gefahr für unsere Demokratie. Deswegen fordern wir ein staatliches Vorgehen gegen die Reichsbürgerbewegung.