Antragsteller*in

N.N.

Zur Weiterleitung an

Bundesparteitag, Bundestagsfraktion, SPD- Landes- und Bundesvorstand zur Kenntnis

Antragstext

Die Landeskonferenz möge beschließen:

„Vom deutschen Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ Willy Brandt Regierungserklärung 21.Oktober 1969

Wir, die Jusos Rheinland-Pfalz, fordern die verantwortungsbezogen schnellstmögliche Beendigung der Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland am Afghanistankrieg.

Es ist jetzt Zeit, dem Militäreinsatz ein Ende zu setzen und über eine neue Afghanistan-Strategie mit allen politischen und diplomatischen Mitteln nachzudenken. Der seit über fünf Jahren andauernde Krieg führt zunehmend zu einem zweiten Irak und muss umgehend beendet werden. Die Zeit dazu ist reif, innerhalb der SPD gibt es eine klare Mehrheit gegen diese Kriegseinsätze. Nur müssten unsere MandatsträgerInnen und unsere Parteispitze dieses Votum wahrnehmen und umsetzen. Der außerordentliche Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen hat durch ein Votum der Basis die innerparteilichen Mehrheitsverhältnisse gezeigt, diese Mehrheitsverhältnisse sind in der SPD ebenso vorhanden. Die Meinung innerhalb der Bevölkerung ist mindestens genauso deutlich. Nach einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts sind 77 % der BundesbürgerInnen gegen den Tornado-Einsatz.

Die Beendigung der Bundeswehreinsätze kann ein erster Schritt zum Frieden sein

Die proklamierten Ziele der Militäreinsätze – Terrorismusbekämpfung sowie Demokratisierung und Wiederaufbau – sind nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Lage im Land verschlechtert sich zusehends und in Afghanistan selbst, in Deutschland und weltweit wird der Krieg aus guten Gründen mehrheitlich abgelehnt. Mit dem 2001 von der US-Regierung begonnenen völkerrechtswidrigen „Krieg gegen den Terror“ sollen die Einflusssphären der USA und ihrer Verbündeten im Nahen – und Mittleren Osten erweitert werden. Eine Politik zur militärischen Absicherung ökonomischer und geostrategischer Interessen lehnen wir ab. Sie kann nicht zum Frieden führen.

An die Stelle der von wirtschaftlichen Interessen geleiteten militärischen Machtpolitik müssen Abrüstung, zivile Konfliktregulierung und diplomatische Verhandlungen treten. Nur so können die gewaltigen Probleme gelöst werden. Der zivile Wiederaufbau in Afghanistan sowie eine humane Entwicklung können überhaupt erst gelingen, wenn der Krieg beendet ist. Was Afghanistan braucht, ist Frieden als Voraussetzung für eine souveräne Demokratie. Die Kriegsschäden müssen durch die Krieg führenden Staaten beseitigt, alle Truppen müssen abgezogen und die somit frei werdenden Mittel für humanitäre Arbeit zur Verbesserung der Lebensbedingungen genutzt werden. Seit 2002 wurden in Afghanistan 85 Mrd. Dollar für Militärmaßnahmen, dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt.

Die deutschen Beiträge zum Afghanistankrieg

Insgesamt sind deutsche SoldatInnen unter zwei verschiedenen Mandaten an der Besatzung des Landes und dem dort wütenden Krieg gegen „TerroristInnen“ und „Aufständische“ beteiligt.

Operation Enduring Freedom (OEF)

Das älteste Mandat entstand gute zwei Monate nach den Anschlägen vom 11.9.2001 und beruht auf deren Interpretation als militärischen Angriff auf die USA und damit Auslöser des NATO-Bündnisfalls. Als Teil des von den USA ausgerufenen, zeitlich und räumlich entgrenzten „Krieg gegen den Terror“ mobilisierte die Bundesregierung Marinekräfte, die seit dem zusammen mit den Verbündeten vor dem Horn von Afrika und um die arabische Halbinsel patrouillieren. Außerdem umfasste das Mandat Operation Enduring Freedom (OEF) Soldaten der ABC-Abwehr, des Sanitätsdienstes, des Lufttransports und des geheim operierenden Kommando Spezialkräfte (KSK) in einem Gebiet, das von Zentralasien bis nach Nordost-Afrika reicht. KSK-SoldatInnen kämpften seit dem mehrfach an der Seite der US- SoldatInnen auch in Afghanistan.

Zwar wurden die KSK-Kommandotrupps angeblich seit 2005 nicht mehr angefordert, diese Versicherung ist jedoch irreführend. KSK-SoldatInnen wurden in der Vergangenheit auch immer wieder unter dem ISAF-Mandat eingesetzt. Dies könnte auch weiterhin passieren – selbst dann, wenn deutsche ParlamentarierInnen beschließen würden, dass es keinen deutschen Beitrag mehr zu OEF in Afghanistan geben solle. Über die KSK-ISAF-Einsätze erfahren Öffentlichkeit und ParlamentarierInnen aber genauso wenig wie über KSK-OEF-Einsätze.

International Security Assistance Force (ISAF)

Nach der raschen Eroberung Kabuls und der Installation einer Übergangsregierung (deren Zusammensetzung im Wesentlichen im Dezember 2001 auf der Petersberg- Konferenz festgelegt wurde) wurde von der UN eine „Internationale Schutztruppe“ (ISAF) mandatiert, die zunächst von Großbritannien, dann der Türkei geführt wurde. 2003 übergab die deutsch-niederländische Führung das Kommando an die NATO. Der Einsatz deutscher SoldatInnen im Rahmen von ISAF wurde im Dezember 2001 beschlossen und blieb zunächst auf die afghanische Hauptstadt Kabul begrenzt. Der ISAF-Aktionsradius wurde in vier Phasen sukzessive auf das gesamte Land ausgeweitet. Bis Ende 2004 auf den Norden und im Folgejahr auf den Westen. Im Juli 2006 wurde mit der Ausdehnung in den schwer umkämpften Süden begonnen und die Truppenzahl auf 18.500 SoldatInnen mehr als verdoppelt. Seither ist nicht nur die OEF, sondern auch die ISAF praktisch permanent in schwere Kämpfe verwickelt. Schließlich wurde Ende September 2006 die Ostausweitung beschlossen und die ISAF-Truppenzahl seit dem auf etwa 35.000 erhöht. Rund 8.000 SoldatInnen kämpfen zudem im Rahmen der US-geführten OEF weiter in Afghanistan.

Im Rahmen von ISAF sind derzeit 3.236 deutsche SoldatInnen im Afghanistan- Einsatz (Stand 25. Juli). Circa 200 davon befinden sich im Luftwaffenstützpunkt Termez im benachbarten Usbekistan, der trotz der offiziell verhängten Sanktionen gegen das Land, dessen Regime schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt wird, eine entscheidende Logistikdrehscheibe nicht nur des deutschen, sondern des gesamten NATO-Einsatzes darstellt.

Die Vermischung von OEF undISAF

Die ISAF bezeichnet sich in offensiver Abgrenzung zur OEF gern als „Friedenseinsatz“ und „Stabilisierungsmission“, weshalb die Bundesregierung betont, „die operative und die Mandatstrennung zwischen ISAF und OEF bestehen unverändert fort.“ Während das ISAF-Mandat zwar die Terrorismusbekämpfung ausschließt, erlaubt es aber explizit die Bekämpfung „Aufständischer“. Der deutsche UN-Sondergesandte für Afghanistan bezeichnet jedoch den Widerstand gegen die Anwesenheit ausländischer Truppen eben als „Aufstand“. Spätestens seit der Süd- und Ostausweitung kämpfen somit die beiden Truppen Hand in Hand, die einen eben gegen „Aufständische“ (ISAF), die andere gegen „TerroristInnen“ (OEF).

Auf Kommandoebene zeigt sich das Ineinandergreifen der Einsätze darin, dass OEF- Kommandeur David Rodriguez zugleich Chef des Regionalkommandos Ost der ISAF ist („Doppelhut“). Noch gewichtiger ist die taktische Ebene: Der gesamte Flugbetrieb über Afghanistan wird von der US-Base in Katar koordiniert. Dort wird zwischen OEF und ISAF nicht unterschieden.

Bundeswehreinsätze in Südafghanistan

Zwar hat Kanzlerin Merkel noch Ende 2006 entsprechend dem Bundestagsmandat versichert, dass Bundeswehreinsätze im Süden höchstens ausnahmsweise und nur kurzfristig stattfinden würden. Die Tendenz besteht jedoch in einer schleichenden Integration der deutschen Militärpräsenz auch in den Einsatz im Süden. So führte die Bundeswehr in den letzten Monaten 120 Unterstützungsflüge (überwiegend MEDEVAC) in den Süden durch. 22 FernmeldesoldatInnen sind seit Ende 2006 „vorübergehend“ zur NATO-Führungsunterstützung in Kandahar und Baghram eingesetzt und auf dem Airfield Kandahar sind acht deutsche FührungsunterstützungssoldatInnen als Teil eines Interim Installation Teams für mindestens 2,5 Monate eingesetzt. Ein Logistikstabsoffizier verstärkt das NATO- Transition-Office in Kandahar für vier Monate, im gleichen Büro sind 3 Informationstechniker der Bundeswehr für mindestens zwei Monate tätig. Zudem ist ein deutscher Offizier im Stab der niederländischen luftbeweglichen Kräfte für sechs Monate eingesetzt. Zuvor war bereits ein anderer Offizier als „Austauschoffiziere“ bei der britischen Luftwaffe eingesetzt. Ohne die Unterstützungsflüge sind damit Anfang August 2007 insgesamt 36 deutsche SoldatInnen „vorübergehend“ im Süden eingesetzt. Die ohnehin fadenscheinige Trennung zwischen OEF und ISAF wird jedoch mit dem Einsatz deutscher Tornados endgültig zur Farce.

Tornados: Beihilfe für Bombardierungen

Am 9.3.2007 beschloss der Bundestag, bis zu 500 weitere BundeswehrsoldatInnen und 6 Aufklärungstornados zusätzlich nach Afghanistan zu entsenden. Das Ziel der Tornadoeinsätze ist die Erstellung eines „umfassenden Lagebildes“. Hiermit leistet Deutschland einen relevanten Kriegsbeitrag, denn die Aufklärungsdaten können auch für Bombardierungen verwendet werden, wie Walter Jertz, General a.D und bis vor kurzem Chef des Luftwaffenführungskommandos, bestätigt: „Es muss der Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass zwar die Aufklärungstornados nicht unmittelbar in Kampfhandlungen verwickelt werden, aber das Liefern von Fotos der Aufklärungstornados kann im Süden von Afghanistan dazu führen, dass Kampfhandlungen durchgeführt werden. Und das kann auch bedeuteten, dass Zivilisten zu Schaden kommen und dieses wollen wir natürlich letztlich auch offen aussprechen, dieses müssen wir auch offen aussprechen.“ Auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und spätere Vorsitzende des NATO- Militärausschusses, Harald Kujat, äußerte sich entsprechend zur Debatte um den Begriff „Kampfeinsatz“ für die NATO-Mission: Aufklärung aus der Luft sei Grundlage für konkrete Einsatzentscheidungen „und damit auch im Zusammenhang mit Kampfhandlungen zu sehen“.

Obwohl das Bundestags-Mandat zum Tornado-Einsatz versichert, eine Überleitung von Daten an OEF dürfe nur „sehr restriktiv“ erfolgen, machte Verteidigungsminister Franz-Josef Jung klar, dass eine Weitergabe selbstverständlich dennoch – zur Terrorbekämpfung wohlgemerkt – stattfindet. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, „dass die Informationen, die die Aufklärungsflüge der Tornados bringen, auch zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen im Rahmen der ‚Operation Enduring Freedom‘ herangezogen werden?“ antwortete er: „Ich kann das nicht ausschließen, und ich will es auch nicht ausschließen. Eines muss klar sein: Auch die Terrorismusbekämpfung ist ein zentraler Aspekt.“ Hiermit stellt sich Deutschland – sieht man von zahlreichen verdeckten Unterstützungsleistungen ab – offen an die Seite der USA und ihres Kreuzzugs gegen den Terrorismus, ein Schritt, der in seiner Tragweite schwer überschätzt werden kann: „Das ist ein Dauerprojekt, da wird man Bestandteil des militärischen Kampfes gegen die Terroristen wie Taliban und Al-Qaida“, so der Chef des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz.

Von den bisher circa 250 Tornadoflügen fanden über 50% im Süden und Osten statt. Wiederholt erfolgten dabei Angriffe, bei denen auch ZivilistInnen ums Leben kamen, im zeitlichen Zusammenhang mit Tornado-Überwachungsflügen (so kam es z.B. im Mai Dutzende von Toten im Dorf Sarwan Kala, Distrikt Sangin – davor hatten zwei Tornadoflüge stattgefunden).

Aufbauunwesen und humanitäre Situation

Die NATO gab die Zahl der von ISAF im Laufe des Jahres 2006 getöteten ZivilistInnen mit 1.000 an, eine Angabe mit erfahrungsgemäß hoher Dunkelziffer. Die wesentlich gewalttätiger auftretende OEF macht hierüber keinerlei Aussagen.

Verlässliche Zahlen der Gesamtopfer sind nicht vorhanden, die wenigen Schätzungen variieren drastisch. So kam beispielsweise der britische Guardian nach Umfragen bei den Hilfsorganisationen vor Ort bereits im Mai 2002 auf 20.000 bis 50.000 Opfer.

Während die OEF- und ISAF-Truppen im Land Krieg führen, stirbt die Bevölkerung gleichzeitig an Krankheit und Unterernährung. Über 70% der AfghanInnen leiden unter chronischem Nahrungsmangel, besonders im Süden des Landes. Ein Viertel hat keinen Zugang zu Trinkwasser, nur 10 Prozent verfügen über elektrischen Strom. Während für militärische Ausgaben im Zeitraum von 2002 bis 2006 gigantische 85 Mrd. Dollar bezahlt wurden, belief sich die Entwicklungshilfe im selben Zeitraum auf jämmerliche 7.5 Mrd., ein Betrag, der bei weitem nicht ausreicht, um die erdrückende Not auch nur ansatzweise zu lindern. Darüber hinaus wird ein großer Teil dieser „Entwicklungshilfe“ auch noch für sicherheitsrelevante Bereiche ausgegeben.

Beispielsweise wird etwa der Aufbau der afghanischen Polizei aus dem deutschen Entwicklungshilfeetat finanziert (12 Mio. jährlich). Dagegen brachte die gesamte „internationale Gemeinschaft“ zwischen 2002 und 2006 gerade einmal 433 Mio.

Dollar für Ernährungs- und Gesundheitsprogramme zugunsten der Bevölkerung auf – zum Vergleich: Allein die militärischen Kosten für die einjährige Verlängerung des deutschen ISAF-Einsatzes belaufen sich auf 460 Mio. Euro.

Die westlichen Kräfte haben altbekannte Warlords wieder an die Macht gebracht. Korruption und Vetternwirtschaft werden vom Westen toleriert. Auch in Vorzeigeprojekten wie der neu aufgebauten und ausgerüsteten afghanischen Polizei. Folter und Rechtsbeugung sind dort an der Tagesordnung. Polizeifahrzeuge, die aus Deutschland vor allem nach Kabul geliefert wurden, sind in der Zwischenzeit fast ausschließlich im privaten Gebrauch durch höhere Polizeioffiziere.

2006 diskutierte auch die internationale Presse das Problem, dass der Vize- Innenminister Mohammed Daoud in den Drogenhandel verstrickt ist, für dessen Bekämpfung er qua Amt zuständig ist. Die Koalitionstruppen gehen aus Gründen politischer Opportunität nicht gegen den Bruder Karzais vor, obwohl dieser einer der wichtigsten Drogenhändler Afghanistans ist. Aus Sicht vieler AfghanInnen wird dies als Unterstützung von Warlord- und Drogenmafiastrukturen interpretiert.

Wachsender Widerstand und militärische Eskalation

Nachdem die NATO-Truppe ISAF seit dem Jahr 2006 auch in den umkämpften Teilen Süd- und Ostafghanistans operiert, hat eine dramatische Eskalation der Auseinandersetzungen stattgefunden. Die Zahl der Selbstmordattentate stieg von 27 (2005) auf 139 (2006), Bombenanschläge nahmen von 783 (2005) auf 1677 (2006) zu und auch die direkten Angriffe auf die westlichen Truppen (mit leichten Waffen, Granaten etc.) haben sich von 1588 (2005) auf 4542 (2006) nahezu verdreifacht.

Die meisten Sicherheitsprobleme konzentrieren sich auf den Süden. Aber auch im Norden steigt die Unsicherheit. Der Widerstand wächst – ebenso die Unterstützung für diesen Widerstand in der Bevölkerung. Der Grund dafür liegt in der zunehmenden Zahl der zivilen Toten und in der fehlenden Entwicklungsperspektive aber auch in der Arroganz und Ignoranz. Mittlerweile sollen über 50 Prozent der afghanischen Bevölkerung politisch motivierte Selbstmordattentate gegen die Besatzungsmacht befürworten. Eine Reduzierung auf Taliban oder Al-Kaida ist in diesem Zusammenhang eine grobe Verkürzung, die der Realität eines breiten Widerstands nicht gerecht wird, wie Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehverbands, verdeutlicht: „Wir haben uns getäuscht in der Resonanz unserer Bemühungen. [Offenbar] ist die Annahme, die Masse der Bevölkerung stünde hinter Präsident Hamid Karsai und den Isaf-Truppen, nicht ganz zutreffend. Es sind nicht nur wenige entschlossene Terroristen, die uns bedrohen. Viele Afghanen stehen als Unterstützer zur Verfügung.“

Die völkerrechtliche Legitimation

Das zwingenden Verbot der Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt gem. Art. 2 Z. 4 UN-Charta kennt nur zwei Ausnahmen: 1. die Ermächtigung zu militärischen Zwangsmaßnahmen gem. Art. 42 UN-Charta durch den UN- Sicherheitsrat und 2. das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta.

Die Resolution 1368 (2001) vom 12. September des UN-Sicherheitsrats

Die USA haben sich zunächst um eine Ermächtigung für ein militärisches Vorgehen gegen Bin Laden und die Taliban durch den UN-Sicherheitsrat bemüht. Bereits einen Tag nach dem Terroranschlag verabschiedete der Sicherheitsrat seine Resolution 1368 (2001), in der er die „entsetzlichen Anschläge in strengster Weise“ verurteilte und den Anschlag „wie jeden anderen Akt internationalen Terrorismus, als eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ betrachtete. Dieses ist die gebräuchliche Formel nach Art. 39 UN-Charta, mit der sich der Sicherheitsrat die weiteren Schritte für politische, ökonomische und militärische Sanktionen nach Art. 41 und 42 UN-Charta eröffnet.

Derartige Maßnahmen ergreift er allerdings nicht, er beruft sich nicht auf das Kapitel VII UN-Charta, sondern ruft lediglich „alle Staaten dringend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, die Organisationen und Unterstützer dieser terroristischen Anschläge vor Gericht zu bringen“ und betont, „dass jene, die den Tätern geholfen, sie unterstützt oder ihnen Unterschlupf gewährt haben, zur Verantwortung gezogen werden.“ Ferner ruft er die Staaten dazu auf, durch „engere Zusammenarbeit und vollständige Umsetzung der Anti-Terror-Konvention und der Resolutionen des Sicherheitsrats, vor allem der Resolution 1269 vom 19. Oktober 1999, Terroranschläge zu verhindern und zu unterdrücken.“

Schließlich erklärt der Sicherheitsrat seine Bereitschaft, „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge zu reagieren und alle Formen des Terrorismus in Übereinstimmung mit der Verantwortung gemäß der UN-Charta zu bekämpfen“. Er „beschließt, sich weiter mit der Angelegenheit zu befassen“.

Der Wortlaut dieser Resolution zeigt eindeutig, dass die USA ihr Ziel, eine Ermächtigung für militärische Reaktionen auf den Terroranschlag zu erhalten, nicht erreichen konnten. Vielmehr deutet der Sicherheitsrat an, dass er die Gerichte für die geeigneten Mittel ansieht, die TäterInnen, ihrer Organisationen und UnterstützerInnen zur Verantwortung zu ziehen. Dies wird durch die Erwähnung der Anti-Terror-Konvention bestätigt. Es handelt sich um die „International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism“, die von der UN-Generalversammlung am 9. Dezember 1999 mit der Resolution 54/169 verabschiedet wurde. Mit der Annahme dieser Konvention sollen sich die Staaten verpflichten, bestimmte genau definierte Taten der Finanzierung und finanziellen Unterstützung terroristischer Aktivitäten unter bestimmten Voraussetzungen (Begehung der Unterstützungshandlungen auf dem Gebiet des Vertragsstaates, Begehung durch Staatsangehörige oder durch Handlungen an Bord von unter der Flagge des Staates fahrenden Schiffen bzw. Flugzeugen) unter Strafe zu stellen und für deren Verfolgung eine strafrechtliche Zuständigkeit zu begründen. Die ebenfalls angeführte Resolution 1269 vom 19. Oktober 1999 fordert die Staaten zu einer allgemein stärkeren Zusammenarbeit und zum Beitritt zu den zahlreichen Konventionen auf, unterstreicht die wichtige Rolle der Vereinten Nationen bei dem Anti-Terrorkampf und mahnt besseren Informationsaustausch, Unterbindung der Finanzierung von Terroraktivitäten, Sorgfalt bei der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und Zusammenarbeit auf der Verwaltungs- und Justizebene an. Militärische Maßnahmen werden in keinem Zusammenhang erwähnt.

Die Resolution 1368 geht insofern über die bis dahin bekannten Anti- Terror- Resolutionen hinaus, als sie nicht erst die Weigerung einer Regierung, die mutmaßlichen TäterInnen auszuliefern, als eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bezeichnet – so wie die Resolution gegen Libyen im Lockerbie-Fall und die Resolution 1267 von 1999 gegen die Taliban -, sondern bereits den Terroranschlag selbst als eine solche Bedrohung nach Art. 39 UN-Charta bezeichnet. Dennoch ändert diese neue Qualität nichts an dem Ergebnis, dass diese Resolution keine Ermächtigung für eine militärische Reaktion enthält. Die Auffassung der Bundesregierung in Punkt 3 ihres Antrags, dass „nach der Resolution 1368 (2001) alle erforderlichen Schritte zu unternehmen“ seien, also auch militärische, ist falsch. Der Sicherheitsrat hat „seine Bereitschaft“ erklärt, „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge zu reagieren…“ Er hat sich damit die Auswahl der erforderlichen Schritte vorbehalten und beansprucht hier seine alleinige Kompetenz für Maßnahmen nach Art. 41 und 42 UN-Charta. Er hat den Staaten keine Blankovollmacht gegeben.

Die Resolution 1373 (2001) vom 28. September des UN-Sicherheitsrats

Kurze Zeit später versuchten die USA erneut, eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat zu erhalten. Die daraufhin am 28. September verabschiedete Resolution enthält jedoch genauso wenig die erwünschte Ermächtigung. Sie bestätigt noch einmal die vorangegangene Resolution und bezieht sich in ihren weiteren Forderungen an die Staaten allerdings jetzt ausdrücklich auf das VII. Kapitel der UN- Charta, welches ihr verbindliche Sanktionen und Maßnahmen ermöglicht. Als solche fordert sie in einem ersten Punkt von den Staaten, alles zu unterlassen, zu verhindern und zu bestrafen, was mit der Finanzierung terroristischer Handlungen zusammenhängt. In einem zweiten Punkt fordert sie das gleiche bezüglich jeglicher anderen Unterstützung von terroristischen Aktivitäten. Insbesondere fordert sie die strafrechtliche Verfolgung, gerichtliche Untersuchung und Aburteilung von Terroristen, die Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Beweisen, effektiven Grenzkontrollen und strenger Überwachung der Ausgabe und Fälschung von Pass- und Reisedokumenten. Sie fordert die Staaten ferner auf, ihre Zusammenarbeit bei der wechselseitigen Information über alle Fragen, die den Terrorismus betreffen, zu verstärken und durch bi- und multilaterale Abmachungen sowie durch Unterzeichnung der wichtigen Anti-Terrorismus- Konventionen und Umsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu ergänzen. Insbesondere sollen die Staaten darauf achten, dass der Flüchtlingsstatus nicht von TerroristInnen missbraucht werde, allerdings seien dabei die anerkannten Standards der Menschenrechte und des Völkerrechts zu berücksichtigen.

Schließlich richtet der Sicherheitsrat mit der Resolution ein spezielles Komitee ein, welches aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrats besteht, um die Umsetzung der Resolution zu kontrollieren und fordert alle Staaten auf, binnen 90 Tagen dem Komitee über ihre Maßnahmen zu berichten. Der Sicherheitsrat schließt die Resolution mit der Versicherung, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, die Umsetzung der Maßnahmen zu garantieren, und der Absicht, „weiter mit der Sache befasst“ zu sein.