Antragsteller*innen

N.N.

Zur Weiterleitung an

N.N.

Antragstext

Die SPD muss migrations- und fluchtpolitisch endlich Farbe bekennen und ein umfängliches, stimmiges und einer Sozialdemokratie würdiges politisches Angebot machen. Denn das gemeinsame und orchestrierte Auftreten von Pegida und AfD in Chemnitz markiert einen Wendepunkt und zielt in seinem Kern darauf ab, den demokratischen Diskurs in der Flüchtlings- und Migrationsfrage zu untergraben und die damit verbundenen Werte wie Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit zu instrumentalisieren. Maßnahmen können neben der bestehenden Beschlusslage der Jusos Rheinland-Pfalz von 2015 ausdrücklich, aber nicht abschließend sein:

  1. Kompromisslose Seenotrettung und sichere Fluchtrouten. Die rheinland-pfälzischen kreisfreien Städte müssen sich selbst zu sicheren Häfen für Flüchtende erklären.
  2. Deutlich stärkere finanzielle, personelle und strategische Unterstützung für an Krisenregionen angrenzende Staaten, unabhängig von schmutzigen Deals. 
  3. Einzelfallprüfung für alle Asylbegehren, die im Interesse der Betroffenen schnell, aber gründlich erfolgen muss.
  4. Ein europäisches Bewerbungsverfahren für Kommunen, die bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen und die dafür sowohl finanzielle Mittel zur Aufnahme und Inklusion der Betroffenen selbst als auch Strukturfördermittel als Anreiz erhalten – und das vorbei am Diktat der Nationalstaaten.
  5. Schnellstmögliche Arbeitserlaubnis für Geflüchtete. Geflüchtete dürfen nicht während ihrer Ausbildungszeit abgeschoben werden. Betriebe, die Geflüchtete beschäftigen, müssen bei der Entscheidung des BAMF zur gemeinsamen Beratung über den Einzelfall herangezogen werden.
  6. Eine Neuordnung der europäischen Entwicklungspolitik in Anlehnung an die Beschlusslage der Jusos Rheinland-Pfalz. Dazu gehört eine schonungslose Neubewertung der europäischen Agrarpolitik. Außerdem: Subventionen für Unternehmen, die Großteile der Wertschöpfung in afrikanischen Staaten verbleiben lassen und im eigentlichen Sinne „fair“ handeln.
  7. Erleichterten Zugang zu einer großen Zahl von auf mehrere Jahre befristeten Ausbildungs- und Arbeitsvisa für Menschen aus Nicht-EU-Staaten im Rahmen eines sozialdemokratischen Einwanderungsgesetzes.

Begründung:

Wir erleben dieser Tage in einigen Teilen unseres Landes, wie die kontinuierliche Verrohung von Sprache, Rhetorik und Politik in nackter Gewalt mündet. Es tritt ein, wovor wir lange schon warnen: Wer über Schießbefehle an Grenzen spricht, wer Menschen entsorgen will, wer die deutsche Vergangenheit verharmlost, der schreckt über kurz oder lang auch vor tatsächlichen gewalttätigen Angriffen nicht zurück. Klar ist dabei auch, dass Chemnitz überall hätte sein können. Die Stimmung in Deutschland kocht und wir sind gespalten wie schon lange nicht mehr. Auch die SPD, nach traditionellem Selbstverständnis das Bollwerk gegen den Faschismus, trägt Mitverantwortung an den gesellschaftlichen Entgrenzungen, die wir heute beobachten. Sie trägt unter anderem Mitverantwortung, weil sie es vor 2015 versäumt und nach 2015 noch immer nicht geschafft hat, eine wirkliche Strategie, ein tragfähiges Konzept, ein einheitliches Bild davon zu vermitteln, wie wir als Linke mit Flucht und Migration umgehen müssen.

Wir dürfen hier nicht länger warten. Die SPD muss in dieser Frage eine gemeinsame Position finden – und das gerade auch aus einer Großen Koalition heraus.

Die SPD bleibt nach wie vor migrations- und fluchtpolitisch farblos. Während beispielsweise die CSU und der Bundesinnenminister in einem mehrwöchigen politischen Amoklauf drohten, Geflüchtete an den deutschen Außengrenzen per Ministerentscheid zurückweisen zu lassen, nutzte die SPD die Gelegenheit nicht, mit eigener Programmatik klar dagegenzuhalten. Kritik, die von Seiten unserer Spitzengenossinnen und -genossen zu hören war, beschränkte sich in aller Regel auf den schlechten politischen Stil, mit dem die CSU Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag unterwandere. Eine inhaltliche Auseinandersetzung oder Gegenvorschläge prägten und prägen aus sozialdemokratischer Perspektive die sich auch nach der sogenannten Einigung im Asylstreit fortsetzende Debatte nach wie vor nicht. Das zeigte nicht zuletzt der Fünf-Punkte-Plan unserer Partei. Für eine Sozialdemokratie, die es sich vorgenommen hat, sich in der Regierung – auch inhaltlich – zu erneuern und sich zu profilieren, reicht das nicht. Zumal es sich hier für die SPD nicht um ein Randthema handeln kann. Die letzten Zuspitzungen in Bezug auf die private Seenotrettung unterstreichen das dramatisch. Man muss keinen „Refugees Welcome“-Jutebeutel besitzen, um anzuerkennen, dass hier unsere gemeinsame Wertebasis Risse bekommen hat.

Es stellt sich deshalb die drängende Frage, welche Werte wir unserem politischen Handeln zugrunde legen wollen. Ob wir auf Mauern und Zäune setzen oder auf grenzüberschreitende Solidarität. Es ist ein Ausdruck von Achtung und Respekt gegenüber Menschen, ihrer Geschichten, ihrer individuellen Situationen und ihrer Würde, Asylbegehren im Einzelnen zu prüfen. Wer ohne weiteres Menschen an der Grenze zurückweist, der missachtet die Würde der Einzelnen. Ein Rechtsstaat, der sich als solcher rühmt, muss diese Würde aber achten und dazu zählt die Einzelfallentscheidung in einem angemessenen Verfahren. Ein solches Verfahren kann sicherlich nicht in einem Grenzhäuschen stattfinden. Zugleich sind Schutzzonen, die wir uns als besonders gesicherte Auffanglager in krisennahen Regionen weltweit vorstellen dürfen, ein von eurozentrischer Überheblichkeit geprägter Unsinn, der im Ergebnis das Problem lediglich auf andere verschiebt und für die Betroffenen nicht die geringste Verbesserung bringt.

Der Asylstreit mag formell beigelegt sein – das Ergebnis soll hier gar nicht bewertet werden. Trotzdem dürfen wir uns nicht vormachen, wir hätten echte Antworten gefunden, aus denen wir gute politische Handlungsmöglichkeiten schöpfen können. Es ist jetzt an der Zeit für die SPD, mit einem fundierten asyl- und migrationspolitischem Konzept aufzuwarten, denn es kann hier ein „Zu spät“ geben. Das zeigt Chemnitz. Und das sollte uns ein letzter Warnschuss sein.

Die SPD könnte also ein Konzept erarbeiten, das für das grundgesetzliche Recht auf Asyl einsteht, das sich offen zeigt für diejenigen, die unseres Schutzes bedürfen und das eine klare Aussage über die Notwendigkeit der Zusammenführung von Familien trifft. Ein Konzept, das Erwerbsmigration nach gerechten, transparenten und solidarischen Grundsätzen ermöglicht und das Migrant*innen gerade nicht als „Humankapital“ betrachtet und deshalb Migration nicht an volkswirtschaftlichen Interessen ausrichtet. Ein Konzept, das Migration und Flucht europäisch denkt und das auf Basis von Solidarität und Zusammenarbeit die Verteilung von Geflüchteten ungeachtet der nationalstaatlichen Befindlichkeiten und auf Basis der Aufnahmebereitschaft der tausenden Gemeinden in Europa neu denkt. Und ein Konzept, dass natürlich ausdrücklich feststellt, dass die Rettung von in Seenot geratenen Menschen – gänzlich ungeachtet der Umstände – schon immer Aufgabe des Staates war und dies auch immer bleiben wird.

Gleichzeitig darf der Slogan „Bekämpfung von Fluchtursachen“ nicht inhaltsleer bleiben. Wir müssen einsehen, dass die Art und Weise, wie wir in Europa seit Jahrzehnten wirtschaften in unmittelbarem Zusammenhang mit Armut und Elend in anderen Teilen der Welt steht. Wir müssen darum die aktuellen Wertschöpfungsketten hinterfragen und beispielsweise die afrikanischen Staaten in die Wertschöpfung mit einbeziehen. Protektionistische Regelungen, die – auch in erster Linie gegenüber den afrikanischen Staaten – luftabschnürend wirken und die Entwicklung von Binnenmärkten in Nicht-EU-Staaten hemmen müssen wir fallen lassen.

Bei alldem dürfen wir und darf die SPD nicht vergessen, dass auch Menschen zuwandern, die nicht die Werte teilen, die wir Sozialdemokrat*innen und Jungsozialist*innen für ein gedeihliches Miteinander voraussetzen. Deshalb müsste ein solches oben umrissenes Konzept anerkennen, dass wir – in der migrantischen Gruppe vornehmlich unter jungen Männern – ein ausgeprägtes Sexismus-, Antisemitismus-, Chauvinismus- und Gewaltproblem haben. Diese Probleme müssen wir ernst nehmen und angehen. Wir dürfen darüber nicht schweigen und müssen entsprechendes Verhalten scharf verurteilen. Denn das muss linke Migrationspolitik leisten: Humanität und internationale Solidarität kompromisslos erstreiten – und dies gleichzeitig nicht dem Kampf für Geschlechtergerechtigkeit, für sicheres jüdisches Leben in Deutschland und für Rechtsstaatlichkeit hintanstellen. Es ist ein Drahtseilakt, den wir leisten müssen, strukturelle Probleme in migrantischen Gruppen zu benennen ohne uns pauschalisierende Scheinargumentationen anzueignen, die zu den menschenverachtenden Positionen der Rechten und Wagenknechts dieser Welt führen.

Die Zeit wäre reif für ein klares Bekenntnis der SPD für eine konsequente und ehrliche Flucht- und Migrationspolitik und für hartes Einschreiten gegen diejenigen, die die Werte unserer Verfassung mit Füßen treten. Die Jusos Rheinland-Pfalz haben sich mit einem Grundlagen-Antrag zur Landeskonferenz 2015 in dieser Frage eindeutig, ausführlich und stimmig positioniert. Diese Entschlossenheit fordern die Jusos Rheinland-Pfalz auch von der SPD ein.